manchmal empört, manchmal nur belustigt. Das alte Bild.
Die Nationalversammlung tut so lange schnippisch oder höh-
nisch, bie sie dem Bergewaltiger eines schönen Tages erliegt.
Die Unabhängigen gehen aufs Ganze. Oie Nationalversamm-
lung mitsamt der Regierung aber taumelt von Halbheit zu
Halbheit. Noch erklärt Scheidemann heute mit vollem Brust-
ton sich gegen das Rätespstem und versichert, er werde nicht
umlernen, aber Seger leiert eintönig — und so unbeirrt wie
ein Schlafwandler — seinen Sang von dem nahen Siege des
Weltbolschewismus herunter. Scheidemann werde schon noch
umlernen. Kurz vor dem Kriege noch sei er gegen den Krieg
gewesen und habe dann am 4. August schnell umgelernt. Im
Kriege habe er nach deutschen Siegen erklärt, derjenige sei
ein Narr, der nicht an ein Verrücken der Grenzsteine glaube,
und später habe er jeden Annexrionsgedanken abgewiesen.
Kurz vor der Revolution habe er ein Regierungsprogramm
gegen die Revolution mit entwerfen und sie nachher doch
mitgemacht. So wirft Seger spachtelweis seine Farben-
tupfen auf die Leinwand, und Herr Scheidemann wird immer
deutlicher, wird greifbar ähnlich. Es ist aber nicht recht, ihn
allein so zu malen. Oie ganze Regierung, das ganze Parla-
ment ist so. Willenlos vor jedem Oränger. Biesmarck
sagt in seinen Erinnerungen, Parlamente seien stets auch
leichter zu betrügen als Monarchen, einzig und allein den russi-
schen Zaren vielleicht ausgenommen. Geradezu ein Muster
dafür sei das englische Unterhaus, das noch durch jedes Blau-
buch sich habe einwickeln lassen. Am klarsten spricht heute
vielleicht Graf Brockdorff-Rantzau, dessen Programm zur
Reform des auswärtigen Dienstes so vernünftige Gedanken
enthält, daß das Geschwätz der Unberufenen über diesen
Punkt nun hoffentlich aufhören wird. Er will das „Regional-
System“ einführen, für jedes Land einen besonderen Stab,
der dauernd dieses Gebiet bearbeitet, während wir bisher auf
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