sonst in ihren Ansichten über den Schmachfrieden mit den
Oeutschnationalen völlig einig ist, vor dem Antrag zurück-
schreck. Wenn man vaterländische Politik betreiben will,
wird man der Parteitaktik bezichtigt; man muß Parteitaktik
betreiben, wenn man dem Baterlande dienen will. Das klingt
heute noch paradox. Oie gesamte Rechte wird es aber einmal
noch einsehen müssen und ihre Mitarbeit nicht mehr an das
Bessermachen der Mehrheitspolitik verschwenden, sondern
einzig und allein auf den Sturz der Mehrheit richten. Das ist
eine Frage der Technik, und darin wird man noch viel Lehr-
geld bezahlen müssen, ehe man die Meisterschaft der regieren-
den Sozialdemokratie erreicht.
In einer Nachmittagssitzung wird das Finanzprogramm
weiter beraten. Erzberger macht sich lieb Kind bei den Sozial-
demokraten. Der Deutsche Volksparteiler Becker, als früherer
Finanzminister Fachmann, führt ihn in vornehmer Art ab.
Auch Graf Posadowsky gibt manche Feinheit in einer durch-
dachten Rede. Der Rest ist Parteigezänk, Gezänk der Ver-
krachten, während der Gerichtsvollzieherwagen der Entente
schon auf der Straße rumpelt. Man überlegt mit viel Klug-
heit, wie man unsere Finanzen wieder ausbauen werde, man
lobt, man kritisiert die Pläne; doch was sind Hoffnungen,
was Entwürfe: in den nächsten Menschenaltern wird das
deutsche Volk dank seinen Zugrunderichtern nicht zu Neu-
bauten kommen, sondern unter fremden Treibern für Fremde
fronden müssen. Hermann Müller, unser auswärtiger Mi-
nister, der als Handlungsgehilfe in Frankfurt a. M. gelernt
hat, weiß im Alten Testament offenbar gut Bescheid. Er sagt
(am 9. November las man's andere, da standen wir angeblich
vor dem gelobten Lande), für uns beginne jetzt der vierzig-
jährige Zug durch die Wüste. Das ist eine sehr rosige Auffas-
sung. Uns scheint, daß wir erst beim Ziegelstreichen für die
englische Weltppramide sind.
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