Full text: Das Interregnum.

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gliedschaft am Reiche bedeutet nichts anderes als Antheilnahme an 
der Willensbildung des Reiches kraft eigenen Herrschaftsrechts. Würde 
dem Gliedstaate die Möglichkeit benommen, bei dieser Willensbildung 
als Subjekt eigener Herrschaft mitzuwirken, würde er auch nicht mehr 
Mitglied des Reiches sein; er ist es aber auch durchweg so lange, als 
ihm jene Möglichkeit nicht verschlossen ist. Der Reichswille wird 
nun durch ein Zusammenfliessen der Einzelwillen der Einzelstaaten 
dergestalt zur Entstehung gebracht, dass das, was sich als die Majo- 
rität der Einzelwillen ergiebt, Wille des Reiches wird. Wie der zur 
Geburt des Reichswillens mitschöpferische Einzelwille seinerseits 
geboren wird, das ist prinzipiell gleichgültig; es ist insbesondere 
gleichgültig, welches Subjekt im Einzelstaate es ist, dessen Indivi- 
dualwille den Staatswillen erzeugt, dessen Individualwille demzufolge 
auch Miterzeuger des Reichswillens ist. Ist das für gewöhnlich der 
Monarch, so ist es bei dessen Regierungsunfähigkeit der Regent, oder 
falls dieser noch nicht bestimmt ist, das Organ, das bis zur Ein- 
setzung der Regentschaft die Staatsleitung besorgt. Ist nun richtig, 
was wir oben nachzuweisen versucht haben, dass auch im Inter- 
regnum der Staat Subjekt eigener Herrschaft bleibt, und dass sein 
Wille auch hier zur Entstehung kommt, dass nur die Individuen, die 
ihn erzeugen, andere sind als die normalen, dass der Staatswille 
nämlich durch den Willen der provisorischen Regierung gedeckt wird, 
so muss es auch feststehen, dass dieser anormal gebildete Staatswille 
wie der normal entstandene fähig ist, an der Bildung des Reichs- 
willens sich zu betheiligen: denn wie jener entsteht, ist für diesen 
grundsätzlich unerheblich. 
Es ist also Existenz des Reiches und Antheilschaft des Staates am 
Reiche durch den Eintritt des Interregnums nicht gefährdet. Darum 
ändert sich auch nichts in dem Rechtsverhältnisse, in dem sich Reich 
und Gliedstaat zu einander befinden; ihre gegenseitigen Rechte und 
Pflichten, seien es verfassungs- oder vertragsmässige, bleiben unbe- 
rührt. Wie dem Staate die Möglichkeit der Mitwirkung zur Reichs- 
willensbildung unbenommen ist, so bleibt ihm auch sein Recht darauf 
unangetastet. Er behält insbesondere seine Stimme im Bundesrath, 
das Recht, in ihm durch instruirte Vertreter seine Antheilschaft an der 
Reichsgewalt auszuüben. Denn die Bundesrathsvertreter sind Vertreter 
ihres Staates; wenn sie in der Verfassung ‚Vertreter der Mitglieder des 
Bundes“ genannt werden, und man unter den Mitgliedern die im Ver- 
fassungseingange genannten Fürsten versteht, so ist dies doch nicht 
anders als oben geschelien auszulegen, dass nämlich diese Fürsten Mit-
	        
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