Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

jener Begeisterung, die wohl alle deutschen Jungen diesem Musik- 
instrument entgegenbringen, zu einer gewissen GFertigkeit, und war 
die Wirkung vielleicht auch nicht immer harmonisch vollendet, so war 
sie doch gewiß geräuschvoll. Und das war für einen Zungen in meinem 
Alter zweifellos die Hauptsache! Ihm aber, dem Braven, der sich 
so wackere Mühe gab, mich zu einem Melster auf dem Kalbfell zu 
machen, habe ich durch die Zahrzehnte einen Platz in meinem Herzen 
bewahrt. Ist doch die Erinnerung an ihn ein Stück unvergeßlich glück- 
seliger Kindheit! 
Langsam trat nun aber sozusagen der Ernst des Lebens an mich 
heran. Es geschah dies zuerst in Gestalt des Seminarlehrers Schüler 
aus Potsdam, dem das Schicksal die Aufgabe gestellt hatte, mich in 
die Geheimnisse des Schreibens und Lesens einzuführen. Er war 
ein guter, lieber Mann, den ich unendlich gern gehabt habe. Schöne 
Stunden gemeinsamer Arbeit und Erholung haben wir insbesondere 
in Erdmannsdorf erlebt. 
Mit jenen Tagen des Krieges von 1866 beginnt nun aber auch 
in der Geschichte meiner Erziehung ein neuer Abschnitt. Denn da- 
mals erhielt ich, wie ein halbes Jahr zuvor einen Militärgouverneur, 
so jetzt auch einen zivilen Erzieher, und eine Bersönlichkeit trat da- 
mit in mein Leben, die von bestimmendem Einfluß auf meine ganze 
geistige Entwicklung werden sollte. 
S 
Georg Hinzpeter war nicht ganz 30 Jahre alt, als er mein Er- 
zieher wurde. Er war aus Bielefeld gebürtig und hatte das dortige 
Gymnastum besucht, an dem sein Bater Professor war. Nach dem 
Studium der Philosophie und der klassischen Philologie, das er mit 
der Promotion zum Doktor der Philosophie abschloß, wurde er zu- 
nächst Lehrer am Gymnasium seiner Heimatstadt. Er übernahm in 
den fünfziger Zahren die Stelle eines Erziehers bei den beiden 
Prinzen zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, dann bei dem Grafen 
23
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.