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Straße war bedeckt mit den Leichen von Menschen und Pferden, die den
Strapazen erlegen waren. Die Truppen boten ein Bild völliger Er-
schöpfung. Zerzaust, unter einer Schmutzkruste konnten sie sich kaum noch
dahinschleppen. Für die eingeschlossenen aber, die 58 Tage lang alle
Greuel und Entbehrungen einer Belagerung seitens der Leute vom
„Großen Messer“ ertragen hatten, kam der Entsatz kaum früh genug.
Von den beteiligten 414 Zivilpersonen und 314 Marinesoldaten nebst
86 Freiwilligen unter dem Befehl des Kapitäns Poole erlitten 11 Zivil—
personen, 54 Marinesoldaten und Matrosen den Tod, 130 Personen
waren verwundet, darunter auch zwei Frauen. Der Garten der Gesandt-
schaft war ein Kirchhof geworden.
Eine Medaille mit der Inschrift: „Menschen, nicht Mauern machen
ein Stadt“ verewigt die heldenhafte Verteidigung.
Beides, Belagerung und Entsatz, gehören zu den denkwürdigsten
Ereignissen der Weltgeschichte.
Am 18. August schon fand man die Leiche des Freiherrn v. Ketteler
unter einem Sandhaufen nahe der Mordstelle. Erst jetzt gab die un-
glückliche Witwe ihre stets genährte Hoffnung auf, daß ihr Gatte nur
gefangen gehalten würde. So unsicher waren alle Berichte, die aus der
Menge und aus dem Tsungli-Damen kamen. Man veranstaltete eine
imposante Trauerfeierlichkeit in der deutschen Botschaft, bei der das
gesamte diplomatische Korps und alle Offiziere der Entsatztruppen zugegen
waren. Eine gleiche Feier fand in Tientsin und anderen Orts statt.
Das Ende des Krieges.
Der Schleier, hinter dem sich das offizielle China so lange ver-
borgen hatte, war zerrissen. Man wußte jetzt, daß die Kaiserin Tsusi,
daß Prinz Tuan die Seele des Aufstandes waren. Aus den „Wirren“
wurde der Krieg ohne Phrase. In Deutschland waren das 1. und
2. Seebataillon mobil gemacht und durch Freiwillige auf Kriegsstärke
gebracht worden. Generalmajor von Höpfner übernahm das Kommando.
Durch die gegen unsern Gesandten geübte Schandtat war dem Deutschen
Reich die Initiative in der Weiterführung des Krieges zugefallen.
Kaiser Wilhelm verfügte die Mobilmachung weiterer 12000 Mann
Landungstruppen und die Indienststellung der ersten Division des ersten
Panzergeschwaders.