Gründe für den Verlust der Staatsangehörigkeit. 8 17. 107
Stolz empfinde, zu dessen Bürgern gerechnet zu werden. Dementsprechend
kennt mit Ausnahme von Ungarn, das sein Staatsangehörigkeitsgesetz vom
20. Dez. 1879 dem deutschen Reichsgesetz vom 1. Juni 1870 fast wörtlich ent-
nommen hat, kein größerer Staat in Europa einen Gesetzesparagraphen, durch
den seinen Angehörigen der Weg zur Lossagung aus dem Staatsverbande ge-
ebnet wird, es sei denn, daß die Betreffenden bereits von einem ausländischen
Staate naturalisiert worden sind oder wenigstens die Zusicherung der Naturali-
sation erhalten haben.
Nur der Norddeutsche Bund hat in seinem Gesetze vom 1. Juni 1870 die
in Preußen seit dem 31. Dez. 1842 eingeführte gesetzliche Bestimmung über-
nommen, laut welcher der Staatsbürger um Entlassung aus seiner bisherigen
„Untertanenschaft“ einkommen kann. Das norddeutsche Bundesgesetz ist deutsches
Reichsgesetz geworden, und heute haben wir ein neues Reichsgesetz mit derselben
Bestimmung, daß ein Deutscher durch Entlassung und die innerhalb eines Jahres
darauf folgende Auswanderung aus dem Reichsgebiet Ausländer wird.
„Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ewige Krankheit
fort.“ Die Entlassung, die schon seit mehr als 70 Jahren dem Vaterlande
Tausende von Söhnen entrissen hat, hätte bei der Veränderung d. G. ebenso
wie der § 21 ausgemerzt werden müssen.
Im Auslande, wo es eine Naturalisation ohne vorherige mehrfjährige
Niederlassungsfrist nicht gibt (vgl. § 8 d. G. Anm. 16), ist ein daselbst sich auf-
haltender Deutscher in der Zeit von der Niederlassung an bis zum Erwerb einer
neuen Staatsangehörigkeit heimat-, staat- und schutzlos. Wenn ein solcher
Deutscher im Ausland hilfsbedürftig wird und auf Grund der mit den fremden
Staaten vereinbarten Übernahmeverträge nach Deutschland übernommen
werden mufß, so ist der Betreffende bei der Rückkehr in sein früheres Vaterland
staatlos und kann nur unter sehr erschwerenden Bedingungen ausgenommen
werden. Wir haben also hier den Fall, daß ein von Deutschland als Aus-
länder erachtetes Individuum, das aber dem Auslande als Deutscher gilt,
nach Deutschland zurückgeschoben wird, ohne daß ihm ein Recht auf Wieder-
erwerb der Staatsangehörigkeit oder Erlangung des Unterstützungswohnsitzes
zusteht. "
Aus den vorerwähnten Gründen und in Anbetracht dessen, daß die Ent-
lassung den Wehr- und Militärpflichtigen sowie den Beamten nicht erteilt wird,
ferner nach Erfüllung der Militärpflicht oder Außerdienststellung den Aus-
wanderungslustigen überhaupt keinen Nutzen gewährt, dürfte meines Erachtens
der ganze Abschnitt der Entlassung aus dem Gesetze zu streichen sein.
Die ganze Mangelhaftigkeit dieser gesetzlichen Bestimmung scheint endlich
der preuß. Minist. des Innern erkannt zu haben, als er die folgende Ver-
fügung vom 20. Nov. 1904 (MBl. i. V. S. 277) erließ:
„Wie bei mir zur Sprache gebracht worden, soll es häufiger vorkommen,
daß Personen, welche sich in das Ausland begeben und sich zu diesem Zwecke.
mit Reise= oder Heimatspapieren versehen wollen, seitens der Lokalbehörden
— namentlich von deren Bureaupersonal — geraten oder nahe gelegt wird,
um allen Unbequemlichkeiten — insbesondere in bezug auf den inländischen
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