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hatte bis 27. Oktober 1866 in Brinkhof, dann bis gegen Weihnachten 1868 in Schönhof gedient, zwei Ort-
schaften des Kirchspiels Brandshagen, und war, nachdem sie auswärts verzogen, vom August 1869 ab, wie
festgestellt, ununterbrochen öffentlich unterstützt worden, bis sie am 1. Februar 1876 verstarb. Auf Grund
dieser Thatsachen und der ferneren Feststellung, daß das Kirchspiel Brandshagen schon in den Jahren 1866
bis 1869 einen einheitlichen Ortsarmenverband gebildet habe, nahm das Bezirks-Verwaltungsgericht Stettin
an, daß Henriette H. zur Zeit ihres Ablebens noch ihren Unterstützungswohnsitz im Bezirke des Verklagten
gehabt habe und verurtheilte letzteren, aller seiner Einwendungen ungeachtet, nach dem Klageantrage. Auf
Berufung des Verklagten hat das Bundesamt durch Entscheidung vom 15. Dezember 1877 das erste Er-
kenntniß bestätigt; und zwar:
in Erwägung, -
daß die Berechtigung des Klägers zur Verfolgung des erhobenen Klageanspruches mit Unrecht
vom Verklagten bestritten wird, da Kläger die Fürsorge für den Knaben Heinrich H., deren er
entledigt sein will, jedenfalls zur Zeit wieder als vorläufig unterstützender Armenverband ausübt,
nachdem der Landarmenverband von Pommern die Bewilligung der Pflegekosten aus Landarmen-
fonds und damit das dem Kläger nach 8. 34 des preußischen Ausführungsgesetzes vom 8. März
1871 etwa ertheilte Mandat unter dem 27. April 1877 zurückgezogen hat,
in Erwägung,
daß nach 8. 41 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870, 8. 37 des preußischen Ausführungsgesetzes
vom 8. März 1871 Fragen der Organisation und örtlichen Abgrenzung der einzelnen Armen-
verbände von der höchsten landesgesetzlichen Instanz, in Preußen von der zuständigen Deputation
für das Heimathwesen, bezw. dem zuständigen Bezirks-Verwaltungsgericht endgültig zu entscheiden
sind, daß daher die Feststellung des angefochtenen Erkenntnisses, nach welcher das die Orte
Brinkhof und Schönhof umfassende Kirchspiel Brandshagen schon in den Jahren 1866—1869
einen einheitlichen Armenverband gebildet hat, von dem Bundesamte ohne weitere Prüfung der
zweitinstanzlichen Entscheidung zu Grunde gelegt werden muß,
daß Henriette H. aus dem Bezirke dieses einheitlichen Armenverbandes, welchem sie durch
Abstammung angehörte, nach erreichtem 24. Lebensjahre unbestritten noch nicht zwei Jahre ab-
wesend war, als sie, wie die Akten des Landrathamtes Grimmen ergeben, im Juli 1869 der
Armenpflege dauernd anheimfiel, daß diese Unterstützung, hingesehen auf die Zahl ihrer unehelichen
Kinder und ihre sonstigen Verhältnisse, welche in den allegirten Akten dargelegt sind, nothwendig
war, und nach denselben Akten bis zum Tode der Henriette H. am 1. Februar 1876 ununter-
brochen fortgedauert hat,
daß mithin dem Knaben Heinrich H., um dessen Unterstützung es sich gegenwärtig han-
delt, beim Tode der Mutter Henriette H. deren Unterstützungswohnsitz im Bezirke des Verklagten,
welchen sie wegen fortlaufender Unterstützung nach §. 27 Al. 1 des Reichsgesetzes vom 6. Juni
1870 noch nicht durch Abwesenheit verloren hatte, ebenfalls zustand,
in Erwägung endlich,
daß eine Aenderung in dem Domizilverhältnisse des Knaben bisher nicht hat eintreten können,
insbesondere auch dadurch nicht eingetreten ist, daß die Vertretung des Neuvorpommer'schen Land-
armenverbandes denselben irrthümlich als domizillos anerkannt, und sich zur Bezahlung der
Pflegekosten verstanden hat, da im Gebiete des Armenrechts das Anerkenntniß der Fürsorgepflicht
eine selbständige, von der gesetzlichen unabhängige Verpflichtung nicht begründet, und am wenigsten,
von einem nicht verpflichteten Armenverbande ausgehend, den wirklich verpflichteten Verband seiner
gesetzlichen Fürsorgepflicht enthebt,
daß die von dem Appellanten in Bezug genommenen Grundsätze der privatrechtlichen
condictio indebiti keine Anwendung finden, daß es sich hier aber auch nicht einmal um Rück-
forderung einer ungeschuldet geleisteten Zahlung von dem Empfänger handelt, und daß es daher
dahingestellt bleiben kann, ob es ein entschuldbarer thatsächlicher oder ein Nechtsirrthum war,
welcher die Vertretung des Neuvorpommer'schen Landarmenverbandes zur Anerkennung der Land-
armenqualität des Knaben H. veranlaßt hat.