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tung hat in dieser Hinsicht die Vorsicht gefehlt.
Unruhen, die auf Steuererhebung zurückzuführen
sind, bilden leider eine noch schwebende Frage.
Die Schaffung gewisser Monopole in Indo-
China hat z. B. schwerwiegende Proteste der
Eingeborenen heraufbeschworen. Sie haben sich
lebbaft gegen diese Auflagen ausgesprochen, die
ihnen als gewalttätige Willkür erschienen. Die
praktische Einführung dieser Monopole, besonders
desjenigen der Erzeugung und des Verkaufes von
Alkohol, setzt die Bevölkerung verdrießlichen Ver-
folgungen aus. Der Eingeborene, der sich in
seiner Freiheit und in seinen Gewohnheiten ver-
letzt fühlt, schreitet zur Gewalt. Monopole bilden
in einem verhältnismäßig neuen Lande ein Mittel,
das mit der größten Vorsicht zu benutzen ist. Der
Eingeborene versteht nicht, warum man ihm von
heute auf morgen das Recht nimmt, den Spiritus,
den er verbraucht, selber herzustellen. Er gibt
sich von den Gründen dieser Maßregel keine
Rechenschaft. Dieses Besteuerungsverfahren wird
dem weisen staatlichen Grundsatze nicht gerecht,
daß der Eingeborene auf greifbare und unmittel-
bare Art soviel wie möglich den Vorteil ver-
stehen soll, den man ihm rückwirkend aus der
auferlegten Steuer verschafft, wie immer deren
Natur oder die Art ihrer Erhebung sein mag.
Eine sehr lehrreiche Bemerkung über dieses
Thema enthält der allgemeine Bericht über die
Ausstellung in Lüttich (Abteilung für Kolonisie-
rungsverfahren): „Wer zahlt, muß sich beim
Zahlen sagen: Ich mache ein gutes Geschäft,
weil die Verwaltung mir dafür einen höheren
Wert als die Gebühr, die sie mir auflegt, ge-
geben hat.“ Damit die Steuer leicht genommen
werde, ist in gewissen Fällen sogar nötig, daß sie
für die Eingeborenen die Gelegenheit des Emp-
fangs einer unmittelbaren und greifbaren Wohltat!
bedeutet. So wird im Kongostaate die Steuer-
erhebung sehr weise derart ausgeführt, daß jeder
Eingeborene, der seinen Kautschuk bringt, womit
er die Steuer bezahlt, dafür eine kleine Summe
Geldes erhält; diese Summe ist natürlich geringer
als der übliche Wert des Kautschuks, aber sie
bildet für den Eingeborenen einen ergänzenden
Vorteil, denn ohne die Verpflichtung, die Steuer
zu zahlen, würde er sich enthalten haben, den
Kautschuk zu gewinnen, den man ihm bezahlt
hat. Diese Behandlungsweise erzielt also ein
doppeltes Ergebnis: Sie sichert dem Eingeborenen
eine materielle Wohltat und verschaft ihm wie
dem Staate den sittlichen Vorteil seiner erhöhten
Arbeitsfreudigkeit.
Sittliche Entwicklung des Eingebore-
nen. Neben dem materiellen Wohlstande, den
wir dem Eingeborenen sichern müssen, sind wir
auch gehalten, ihm das sittliche Wohlbefinden zu
verschaffen, indem seine geistigen Fähigkeiten ent-
wickelt und nutzbar gemacht werden. Unsere
Pflicht ist, den Eingeborenen zu erziehen, ihn zu
unterweisen, „seinen Verstand durch einen seinen
Bedürfnissen immer besser angepaßten Unterricht
zu fördern“. Diese Aufgabe ist schon vor einigen
Jahren durch den Kongreß für koloniale So-
ziologie sehr treffend gekennzeichnet worden:
„Die kolonisierenden Mächte müssen dem
Unterricht der Eingeborenen eine ganz besondere
Sorgfalt widmen. Sie dürfen nicht vergessen,
daß dieser Unterricht ein zurechtgemachter Unter-
richt sein muß, das heißt, daß seine Lehrarten
und seine Pläne den geistigen Eigenschaften der
Eingeborenen angepaßt sein müssen. Er muß
ferner wesentlich erzieherisch sein, d. h. er darf
nicht nur den Zweck haben, den Eingeborenen
gewisse berufliche Kenntnisse beizubringen, sondern
er muß dauernd darauf ausgehen, ihre sittliche
Besserung zu sichern.“
Allerseits haben sich Gruppen gebildet, um
dieses Streben zu fördern. Der „Ausschuß für
republikanische Betätigung in den Kolonien“ unter
dem Vorsitze unseres hervorragenden Kollegen,
Herrn Guieysse, ehemaligen Ministers der Ko-
lonien, hat sich als Ziel gesteckt, unser überseeisches
Reich zu „demokratisieren“ und darin endlich
„die Grundsätze des Fortschritts, der Gerechtigkeit
und des Laientums“ triumphieren zu lassen. In
diesem Geiste hat der Ausschuß einen weitaus-
greifenden Plan entworfen, aus dessen Gesamtheit
wir die nachstehenden Grundlinien herausziehen;
der Ausschuß will:
1. die Sklaverei, die Mißbräuche der Macht,
den Alkoholismus und den Mißbrauch des Opiums
bekämpfen;
2. an allen Werken zur Verbesserung des
Loses der Eingeborenen und zu ihrer Befreiung
tätig mitarbeiten;
3. die Einrichtungen auf Gegenseitigkeit, den
genossenschaftlichen Beistand, Hilfsgesellschaften,
Syndikate, Ruhegehaltskassen, Unterstützungen usw.
fördern;
4. den Anstoß zur Erziehung der Eingeborenen
durch eine Zusammenfassung des Unterrichts in
all seinen nützlichen und praktischen Arten geben
(Laien-Missionen, Schaffung von Ackerbauschulen,
Holzbearbeitungswerkstätten, Schlossereien, wissen-
schaftliche und ärztliche Stellen, Krankenhäuser,
Heime für Aussätzige usw.);
den Unterricht mit Gründlichkeit und Weis-
heit entwickeln, das heißt, danach streben, die
Schranke umzustürzen, die bis jetzt den Ein-
geborenen vom Europäer getrennt hat.
Wie soll man einander verstehen, einander
kennen, wenn man abweichende Sprachen spricht?
Wie läßt sich von einem sittlichen Verstehen