Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

Urwaldes. Am Mgahinga hatten wir frische 
Losung und Fährte an der Grenze der Bambus- 
mit der Hochwaldzone gefunden, im Innern des 
Waldes dagegen niemals Anzeichen ihres Vor- 
kommens bemerkt. Über die Lebensweise des 
Gorilla ist noch wenig bekannt. Mit Bestimmt- 
heit konnten wir die Benutzung von Schlafbäumen 
während der Nacht konstatieren, unter denen ein 
Mungu genannter, sehr hoher und bis zur Krone 
astfreier Podocarpus sowie eine Sopotacee, hier 
Mutoie benannt, der großen Ubersicht und damit 
verbundenen Sicherheit wegen bevorzugt werden. 
In den Morgenstunden, etwa zwischen 7 und 
9 Uhr, verlassen die Gorilla, die ein Familien= 
leben zu 5 bis 8 Mitgliedern führen, ihre Schlaf- 
bäume, um zu äsen. Der Gorilla ist nicht 
wählerisch in seiner Nahrung. Nach Angaben 
der Watwa werden Blätter, Rinde, Blüten, 
Knospen und junge Triebe gern genommen; doch 
decken sich meine Beobachtungen hierin nur in 
bezug auf die Sopotacee (Mutoie), während 
Dr. Schubotz später bei der Verfolgung auf der 
Erde befindlicher Gorillas frisch gekaute junge 
Bambustriebe fand. 
Bei Sonnenaufgang und abends, wenn die 
kurze Dämmerung naht, hört man weithin das 
schwach einsetzende, dann anschwellende, durch- 
dringende Geschrei der Gorillas, das die Watwa 
auf Zwistigkeiten innerhalb der „Familie“ zurück- 
führen. Dies ist der Augenblick für den Jäger, 
einzugreifen und ein Anschleichen zu versuchen. 
Wir hatten unser Lager an den Südrand des 
Waldes, in die Nähe des Häuptlings Chuma ver- 
legt. Hart unter uns dehnte sich eine steile, tiefe 
Schlucht, auf deren Grund ein Wildbach rauschte; 
sie trennte uns vom jenseitigen Hange des Berges, 
auf dem sich das Geschrei meist hören ließ. Die 
einzelnen Familien haben stets ein bestimmtes 
Revier, das ungern verlassen wird. 
Einen Versuch, am Abend bei schwindendem 
Lichte mich heranzupürschen, mußte ich als völlig 
undurchführbar ausgeben, da das fast undurch- 
dringliche Unterholz nur auf Händen und Knieen 
zu durchkriechen war. Ich mußte also bis zum 
Morgen warten. 
Noch vor Tagesgrauen saßen wir drei schon 
fertig vor den Zelten und erwarteten den ersten 
Schrei. Als einzigen Begleiter hatte ich mir einen 
Watwa ausersehen. Dies hatte anfangs viel 
Schwierigkeiten gemacht. Alle größeren Familien 
der Ruanda bewohnenden Bevölkerung, der Wa- 
tussi, der Wahutu und so auch der Watwa, haben 
ein ihnen geheiligtes Tier, musiro genannt, dessen 
Tötung durch ein Mitglied der Familie schweres 
Unheil heraufbeschwören würde. So hat die 
Familie der Sultans Mfingo beispielsweise den 
Kronenkranich, die Familie des Mtualen Kaware 
  
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den Frosch als musiro. Unglücklicherweise be- 
zeichnen nun die Watwa gerade den Gorilla als 
ihren musiro, woraus sich die Ablehnung meines 
Führers erklärte. Auf die Vorstellung hin, daß 
er sich ja nicht selber an der Erlegung zu be- 
teiligen habe, sondern daß dies meine Sache sei 
und er mir nur den Standort zeigen solle, willigte 
er schließlich ein. 
Allmählich wurde es heller und heller; schon 
konnte man durch die Dämmerung einzelne Par- 
tien der Waldschlucht erkennen, aber noch immer 
herrschte Totenstille. Dann ertönte hier und da 
der erste Ruf eines erwachenden Vogels. Von 
allen Seiten begann es bald freudig dem Tag 
entgegenzuzwitschern, und als die ersten Strahlen 
über die Wipfel der Bäume leuchtende Bänder 
zogen, da ertönte endlich auch der ersehnte Ton 
zu uns herüber und zeigte uns den Standort des 
wertvollen Wildes gegenüber am anderen Hange, 
jenseits der Schlucht. 
Der Kriegsrat war schnell fertig: Raven links, 
im Falle die Gorillas dort ausbrechen sollten, der 
Pater rechts, ich gerade darauf los. Der kleine 
Körper des Watwa rutschte mit bewundernswerter 
Geschmeidigkeit durch das unglaubliche Gewirre 
von Lianen, Bambus und Dornen hindurch, 
während die Kleider des Europäers an den Dornen 
beständige Hindernisse fanden. Dem Vorschlage, 
den Raven von einem Watwa einmal bekam, 
während des Pirschens im Walde die Kleider ab- 
zulegen, konnte ich leider nicht nachkommen. 
Endlich war der Grund der Schlucht erreicht, 
der Bach überschritten. Nun galt es: schnell den 
Hang hinauf, bevor die Affen den Baum ver- 
ließen, von dem eben wieder jener unvergeßliche 
Schrei ertönte, denn einmal auf der Erde, waren 
sie für uns verloren. 
War es bergab schon schwierig fortzukommen, 
so galt dies bergauf in doppeltem Maße. Die 
Hände zeigten unzählige Schrammen und Risse, 
der Schweiß lief in Strömen am Körper herab. 
Endlich brachte ein alter Elefantenwechsel Er- 
leichterung. Mittlerweile war es schon 7 Uhr 
geworden; nach unserer Schätzung mußten wir 
jetzt in der Nähe des gesuchten Baumes sein. 
Eine Ubersicht war durch das dichte Unterholz, 
das jede Aussicht nahm, unmöglich. 
Mein Führer blieb jetzt stehen und lauschte 
mit vorgebeugtem Kopfe, die Augen auf die Erde 
geheftet. Dann deutete er langsam nach oben: 
.Wanakula flüsterte er, „sie fressen“. Mit 
äußerster Vorsicht krochen wir nun weiter, ängstlich 
jedes Reis und jedes trockene Blatt mit den 
Händen beiseite räumend. Dann blieben wir 
wieder stehen und lauschten. Kein Ton vernehm- 
bar! Meine Hoffnung sank bedenklich. Unschlüssig, 
wohin wir uns weiter wenden sollten, schlichen
	        
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