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So etwa, wie es von seiten der Englischen Regierung
später geschah, als diese der Entente cordiale zu Liebe
esunterließ, die Interessen der englischen, in Französisch-
Kongo tätigen Handelsfirmen zu schützen, als diese
gezwungen wurden, vor den Monopolbestrebungen
der dortigen französischen Konzessionsgesellschaften
das langjährige Feld ihrer Tätigkeit ohne Schaden-
ersatz zu räumen. Ohne die Kongokonferenz und die
durch Bismarck so wesentlich unterstützte Entstehung
des Kongostaates würde voraussichtlich ein Rivalitäts-
streit zwischen Frankreich und England über das west-
liche Aquatorialafrika entstanden sein, der an Be-
deutung und Folgenschwere den Faschodafall von 1898
erheblich übertroffen haben würde und der vielleicht
für die Gestaltung der europäischen Vethältnisse
von den schwerwiegendsten Konsequenzen geworden
sein würde.
Frankreich gegenüber verfolgte dic deutsche Politik
auch in der Kongofrage nur das eine Ziel, das poli-
tische Verhältnis zu dem linksrheinischen Nachbar
so erträglich wie möglich zu gestalten. Als der deutsche
Gesandte in Lissabon am 13. Mai 1884 über eine
Unterredung mit dem portugiesischen Minister
du Bocage über das Konferenzprojekt berichtete,
nach der dieser sich dahin geäußert habe, daß die Associa-
tion sich in finanziellen Schwierigkeiten befände
und einc Katastrophe eintreten könne, die Frankreich
vielleicht gestatten werde, sich zum Herrn des ganzen
Stromgebietes zu machen, bemerkte Bismarck mar-
ginal: „Um so mehr ist Frankreichs Mitwirkung
(bei der Konferenz) angezeigt. Wir wollen nicht auch
noch in Afrika mit Frankreich in Wettstreit geraten,
wir haben davon am Rhein genug.“ Welchen Weit
Bismarck auf die Vermeidung jeder Reibung mit
Frankreich in Westafrika legte, geht auch daraus hervor,
daß der auf seiner kolonialen Mission nach Westafrika
unterwegs befindliche Generalkonsul Dr. Nachtigal
noch durch einen ihm nach Gibraltar nachgesandten
Kurier unter dem 23. Mai 1884 speziell angewicsen
wurde, „bei jeder sich bietenden Gelegenheit in seiner
Sprache und seinem Verhalten auf französische
Interessen Rücksicht zu nehmen und dies in einer für
die französischen Beamten und Handeltreibenden
überzeugenden Weise hervortreten zu lassen.“
Im ganzen zutreffend Lhat der Jenenser Pro-
fessor K. Anton die Stellungnahme Bismarcks in
der Kongofrage dahin charakterisiert: „Die Hilfe
Bismarcks wurzelte im Widerstande Englands gegen
unsere jungen Kolonialbestrebungen, in der hierdurch
verstärkten Überzeugung, daß ein unabhängiger und
neutraler Kongostaat unseren Interessen weniger
gefährlich sein würde als ein englischer, und in dem
Versprechen Leopolds, seiner Schöpfung internatio-
nalen, humanitären und handelsfreundlichen Charakter
zu geben.“ (Kongostaat und Kongoreform. Leipzig
911, S. 10.)
An den humanitären Charakter der Leopoldinischen
Pläne glaubte der Fürst, wie aus den oben angeführten
Randbemerkungen klar zu erkennen ist, freilich nicht.
Dazu war er ein viel zu ausgesprochener Realpolitiker.
Strich er doch eigenhändig in dem ihm vorliegenden
Entwurf des Vertrages mit der Association den
ursprünglichen Artikel 4, der besagte, daß die Gesell-
schaft den Sklavenhandel mit allen ihr zu Gebote
stehenden Mitteln verhindern werde.
Bismarcks einziger Irrtum war, daß er zu lange
bei der Ansicht verharrte, daß es dem König im wesent-
lichen darauf ankomme, ein gutes Geschäft zu machen,
und daß er sein Unternehmen früher oder später
an Frankreich verkaufen werde. Aber gerade diese
irrige Annahme trieb ihn dazu, für dic deutschen
Handelsinteressen alle nur erdenklichen vertrags-
mäßigen Sicherheiten zu schaffen. Die Verkennung
der wahren Absichten Leopolds, Belgien zu einer
großen Kolonie zu verhelfen, war für die politische
Behandlung der Kongofrage belanglos, solange nicht
die Frage gestellt wurde, ob Belgien durch den Besitz
eines Kolonialreiches und durch die Sorge für dessen
Sicherstellung bei europäischen Verwicklungen nicht
in ein politisches Fahrwasser gedrängt werden könne,
das mit seiner neutralen Stellung unvereinbar werden
mußte. Um diese Frage zu stellen und ihre Bedeutung
für die Zukunft Europas zu erkennen, dazu hätte
wohl eine politische Sehergabe gehört, die selbst einem
Bismarck nicht verlichen war.
Merkwürdig ist es aber, daß keiner der Diplomaten,
die an der Berliner Kongokonferenz beteiligt waren,
sich klar darüber geworden ist, daß schließlich kein Staat
ohne Zolleinnahmen bestehen kann. Nur die Er-
hebung von Ausfuhrzöllen war dem Kongostaat durch
die Kongoakte gestattet. Diese Konzession bedeutete
aber nichts für ein junges Staatswesen, in dem der
Handel noch in embryonaler Entwicklung begriffen
war und in dem der Wert der Einfubr den der Ausfuhr
bei weitem überstieg. Ganz objektiv betrachtet, war
diese Bestimmung von vornherein ein Unding. Be-
sonders bei einer solchen staatlichen Neugründung, der
jede Industric, jede kapitalkräftige weiße Bevölkerung
fehlte und die als fost einzige Unterlanen mittellesc,
nackte, wilde Negerstämme hatte. Uneingedenk des
von ihm als Lockspeise ursprünglich selbst aufgestellten
Programms seiner Staatengründung hatte der Kongo-
souvcrän später freilich noch dic Stirn, in einer kongo-
staatlichen Note vom 17. September 1903 on die
Signatarmächte der Kongoakte erklären zu lassen:
„On ne conçoit pas un Etat sans resscurces.“
Zur Entschuldigung der Teilnehmer an der Kongo-
konferenz mag nach dieser Richtung dienen, daß auch
in der Tagespresse und in der zeitgenössischen Literatur
niemand die Frage aufgeworfen und behandelt hat,
ob der Kongostaat unter einer derartigen Beschrän-
kung seiner Finanzquellen überhaupt lebensfähig
sein könne. Vielleicht hat man sich allgemein über