Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 16. Die Rechte der Reichsangehörigen. 151 
rechte oder Grundrechte‘. Die beiden letzten Kategorien 
sind überhaupt keine Rechte im subjektiven Sinne. 
Die Vorrechte des Einheimischen vor den Fremden sind lediglich die 
Negation der Belastungen oder Beschränkungen, denen Fremde unter- 
worfen sind, haben aber keinen positiven Inhalt und zerfließen sofort 
in nichts, wenn der Staat Fremde den Einheimischen gleich behandelt. 
Die Freiheitsrechte oder Grundrechte sind Normen für die Staatsge- 
walt, welche dieselbe sich selbst gibt, sie bilden Schranken für die Macht- 
befugnisse der Behörden, sie sichern dem Einzelnen seine natürliche 
Handlungsfreiheit in bestimmtem Umfange, aber sie begründen nicht 
subjektive Rechte der Staatsbürger. Sie sind keine Rechte, denn sie 
haben kein Objekt?). 
— 
  
1) Ueber die gemeinrechtliche Theorie vgl. die ausführlichen Darstellungen bei 
Klüber $ 257 (4. Aufl. S.364); Maurenbrecher, Grundsätze 8 57 (S.79); Weiß, 
System des deutschen Staatsrechts 8 273ff.; Zöpfl I, 8 281 ff., und besonders Za- 
chariäl, $ 85ff. (3. Aufl. S. 430-558). Von denselben Gedanken gehen die Dar- 
steller der Partikularrechte aus; unter ihnen sind hervorzuheben v. Mohl, Staatsrecht 
des Königreichs Württemberg I, 8 69 (2. Aufl. S. 323 ff.); v. Pözl, Bayer. Verfassungs- 
recht $ 27 ff. (4. Aufl. S. 61-98); v. Rönne, Staatsrecht der Preuß. Monarchie I, 
8 89ff.; Schulze, Preuß. Staatsrecht I, S. 376 ff. 
2) Vgl. die vortrefllichen Ausführungen v. Gerber’s, Ueber öffentliche Rechte 
(Tübingen 1852) S.76 ff., besonders S.79, und Grundzüge des Staatsrechts $ 10, Note 5 
und 8 17. Auch Zachariä, Staatsrecht I, S. 443 (8 87, Note 1) erkennt an, daß es 
sich bei den sogenannten Freiheits- oder Grundrechten nicht um subjektive Rechte 
der Einzelnen, sondern um Schranken der Regierungsgewalt handelt; er behält jedoch 
die alte Sitte bei, diese objektiven Regierungsnormen als Rechte der Staatsbürger 
darzustellen. Diese Sitte ist die herrschende geblieben und hat sich auch in der 
Literatur des Bundes- und Reichsrechts eingenistet, und so findet man bei Thudi- 
chum, G. Meyer, Riedel, v. Rönne und anderen Schriftstellern das reichs- 
bürgerliche Recht auf Paß- und Gewerbefreiheit, auf freie Verehelichung, auf Brief- 
geheimnis u. s. w.; also das subjektive Recht, bei Reisen keinen Paß, beim Ge- 
werbebetrieb keine Konzession, bei der Verehelichung keinen polizeilichen Konsens 
zu bedürfen! Wenn Thudichum S. 524 unter den „Freiheitsrechten“ sogar auch 
die Einschränkung der Beschlagnahme von Arbeitslöhnen und der Schuldhaft aufführt, 
so ist nicht einzusehen, warum nicht auch der gesamte Inhalt des Handelsgesetzbuches 
und der Wechselordnung hierher gezogen werden könnte und weshalb man z.B. das 
„Freiheitsrecht“ eines Deutschen, Wechsel zu trassieren, aus dem System des Staats- 
rechts so erbarmungslos ausstößt. In dieser Auffassung bin ich auch nicht wankend 
geworden durch die Bemerkungen, welche Gierke (in Schmollers Jahrb. VII) S. 1132 ff. ; 
Stoerk, Zur Methodik des öffentl. Rechts (Wien 1885) S.61ff.; Zorn I, S. 371 ff.; 
Löning, Verwaltungsrecht S. 13; Vogel, Bayer. Staatsrecht S. 81 und namentlich 
in scharfsinniger Weise Tezner in Grünhuts Zeitschr. Bd. 21, S. 135 ff. gegen die- 
selbe und zur Verteidigung der sogenannten „Grundrechte“ geltend gemacht haben. 
Auf eine nähere Erörterung dieser dem allgemeinen Staatsrecht angehörenden Frage 
kann ich an diesem Orte nicht eingehen; ich begnüge mich, auf die sehr treffenden 
Bemerkungen von Seydel, Bayer. Staatsrecht I, S. 300 zu verweisen. Die Hervor- 
hebung gewisser Betätigungen der natürlichen Handlungsfreiheit als „Freiheits- oder 
Grundrechte“ beruht in der Tat nur auf einer historischen Reminiszenzan 
ehemalige Eingriffe der Staatsgewalt, welche mit den heutigen Rechts- und Kultur- 
zuständen nicht mehr oder wenigstens nicht mehr in demselben Umfang wie früher
	        
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