Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

216 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
Indessen mußte das heilige Reich den Becher der Schande bis zur 
Hefe leeren. Als Bonaparte den Herzog von Enghien auf badischem Ge- 
biete aufheben und zum Tode führen ließ, da wagten in Regensburg nur 
die fremden Mächte Rußland, Schweden und England Genugthuung zu 
fordern für die frevelhafte Verletzung des Reichsfriedens. Baden dagegen 
ersuchte, auf Napoleon's Befehl, inständig, die peinliche Angelegenheit nicht 
zu verfolgen, die übrigen Gesandten aber traten vor der Zeit ihre Ferien 
an, schnitten durch die Flucht jede weitere Verhandlung ab. Im Mai 1804 
wurde das napoleonische Kaiserthum gegründet; und es lag vor Augen, 
die Krone, womit dieser Usurpator unter dem Segen des Papstes seinen 
Scheitel schmückte, war das Diadem der Caesaren und der Karolinger. 
Das römische Kaiserthum ging von den Habsburg-Lothringern auf die 
Napoleons über. Unverhohlen sprach der Gewaltige schon von dem Koaiser- 
thum des Abendlandes; alle die altrömischen Erinnerungen, die in der 
gallischen Mischcultur sich erhalten hatten, rief er wach: die Adler des 
kaiserlichen Roms prangten auf den Feldzeichen seiner Legionen. Und 
schon fragte er drohend in seinen Briefen: ob wohl Oesterreich oder Ruß- 
land die Narrheit begehen würden die Fahne der Empörung zu erheben? 
Vergeblich beschwor Gentz den Wiener Hof: die Anerkennung dieser 
angemaßten Krone werde den Unersättlichen, der nur groß sei durch die 
Kleinheit seiner Knechte, zu neuen Uebergriffen ermuthigen. Der geistvolle 
Anwalt der alten Staatengesellschaft erfand bereits die vieldeutige Formel, 
welche nachher den Höfen bei der Bekämpfung des Bonapartismus zur 
Richtschnur gedient hat; es gelte, so schrieb er, das historische Recht zu 
behaupten gegen das Recht der Empörung, gegen die Idee der Volks- 
souveränität. Die ermüdete österreichische Politik blieb für solche Ideen 
vorderhand noch ganz unempfänglich. Die Krone Karl's des Großen war 
ihrem rechtmäßigen Träger längst verleidet, zumal da das Haus Lothringen 
auf die Stimmen der Kurfürsten nicht mehr sicher rechnen konnte. Kaiser 
Franz benutzte also die Aufrichtung der napoleonischen Monarchie um 
den hohen Rang seines Hauses für alle Zukunft sicher zu stellen. Mit 
Zustimmung Napoleon's nahm er den Namen eines Kaisers von Oester- 
reich an, und zum Danke erhielt der Usurpator die Anerkennung des 
alten Kaiserhauses. So wurde das Kaiserthum Oesterreich, das in Wahr- 
heit schon seit Leopold I. bestand, förmlich begründet; die Hauspolitik der 
Habsburg-Lothringer, die seit drei Jahrhunderten allein auf die Wahrung 
ihrer Erblande bedacht gewesen, erreichte ihr natürliches Ziel. Die Titel 
des römischen Kaisers behielt der Wiener Hof vorläufig noch bei, doch 
unmöglich konnte er sein bizarres Doppelkaiserthum, wie Talleyrand es 
spottend nannte, auf die Dauer behaupten. Ueber lang oder kurz mußte 
der jedes Sinnes entkleidete altheilige Name verschwinden; die Macht der 
karolingischen Kaiserkrone lag in Napoleon's Händen. 
In Berlin begrüßte man das bonapartische Kaiserthum als eine neue
	        
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