Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Die Städteordnung. 285 
langen des Staates in seinem Namen auch die Geschäfte der Polizei be— 
sorgen. Sie wurden gegenüber der Staatsgewalt fast ganz unabhängig 
gestellt und sogar mit dem Rechte der Autonomie in Steuersachen ausge— 
stattet, einem Rechte, dessen gemeinschädliche Wirkungen noch Niemand 
ahnte. Die alten buntscheckigen Abstufungen des Bürgerrechts fielen 
hinweg, wie die Vorrechte der Zünfte. Die Einwohner der Städte zer— 
fielen nur noch in zwei Klassen, Bürger und Schutzverwandte. Wer das 
leicht zu erwerbende Bürgerrecht erlangt hatte, war verbunden zur Ueber— 
nahme aller Gemeindeämter; denn war die Freiheit des Eigenthums ein 
leitender Gedanke der Stein'schen Gesetze, so nicht minder der Grundsatz, 
daß der Eigenthümer dem Gemeinwesen zum Dienst verpflichtet sei. Ein 
erwählter Magistrat, aus unbesoldeten und wenigen besoldeten Mitgliedern 
zusammengesetzt, und eine von der gesammten Bürgerschaft nach Bezirken 
gewählte Stadtverordnetenversammlung leiteten die städtische Verwaltung. 
So ward endlich gebrochen mit der zweihundertjährigen Verkümmerung 
des deutschen Communallebens. 
Die Reform erscheint um so bewunderungswürdiger in ihrer einfachen 
Klarheit und Zweckmäßigkeit, da Stein nirgends in Europa ein Vorbild 
fand. Die verwahrlosten englischen Stadtverfassungen konnten ihm ebenso 
wenig zum Muster dienen wie die Patricierherrschaft in seinen geliebten 
westphälischen Städten. Nun erst gab es in Deutschland moderne Ge- 
meinden — unabhängige Corporationen, die doch zugleich als zuverlässige 
Organe den Willen der Staatsgewalt vollstreckten, der Aufsicht der Regie- 
rungen unterworfen blieben. Bisher war ein Theil der Städte jeder 
Selbständigkeit beraubt gewesen. Andere hatten, wie die Grundherrschaften 
des flachen Landes, kleine Staaten im Staate gebildet mit patrimonialer 
Gerichtsbarkeit und Polizei, und wie oft waren die Gebote des Königs an 
„Unsere Vasallen, Amtleute, Magistrate und liebe Getreue“ durch den 
passiven Widerstand dieser altständischen Communalherrschaften zu Schanden 
geworden. Jetzt endlich erhielt die Staatsverwaltung in dem Städte- 
wesen einen kräftigen Unterbau, der ihrem eigenen staatlichen Charakter 
entsprach. 
Auch diese Reform mußte der Nation durch den Befehl des Königs 
aufgezwungen werden. Der märkische Adel und die alte Schule des Be- 
amtenthums klagten über die republikanischen Grundsätze der Städteord- 
nung. Welch ein Entsetzen in diesen Kreisen, als man erfuhr, daß einer 
der ersten Staatsbeamten, der Präsident von Gerlach die Wahl zum Ober- 
bürgermeister von Berlin angenommen habel Der ermattete Gemeinsinn 
des Bürgerthums zeigte anfangs geringe Neigung für den erzwungenen 
Ehrendienst; auch entdeckte man bald, daß jede Selbstverwaltung theuer 
ist, während Stein und seine Freunde vielmehr eine Verminderung der 
Kosten erwartet hatten. Die von Friedrich Wilhelm I. regulirten, an 
strenge Haushaltung gewöhnten Städte fanden sich meist williger in die
	        
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