Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Kaiser Franz und Metternich. 349 
die Lehren der Ketzer, sorgfältig darnieder, verhinderte, daß die gewaltigen 
nationalen Gegensätze dieses vielsprachigen Völkergewimmels zum Selbst— 
bewußtsein erwachten, sicherte den Gehorsamen das Phäakenglück eines 
wachen Traumlebens. Die Thätigkeit der Staatsgewalt war wieder ganz 
auf die europäische Politik gerichtet und vortrefflich paßte zu diesem Systeme 
der unfruchtbaren Ruheseligkeit der neue Minister des Auswärtigen, Graf 
Metternich, der Adonis der Salons, der vielgewandte Meister aller kleinen 
Mittel und Schliche. Er selber hat am Ende seiner Laufbahn die Summe 
seines Lebens gezogen in dem Geständniß: ich habe oft Europa regiert, 
doch niemals Oesterreich. Im diplomatischen Ränkespiele ging all sein 
Wissen und Können auf. Völlig unwissend in allen Fragen der Volks- 
wirthschaft und der inneren Verwaltung überließ er diese bürgerlichen 
Dinge nach altösterreichischem Cavalierbrauche den Hofräthen und den 
Schreibern. Er haßte und fürchtete, wie sein Kaiser, die dämonische 
Kraft des nationalen Gedankens, der sich drüben in Deutschland regte; 
er fürchtete nicht minder den russischen Nachbarn, dessen Macht er jeder- 
zeit überschätzt hat. Er kannte die Welt zu gut und rechnete nüchtern, 
um an die Ewigkeit des napoleonischen Reiches zu glauben; bot sich die 
Gunst der Stunde, so war er bereit diese drückende Uebermacht abzu- 
schütteln. Doch so lange die Herrlichkeit der Weltmonarchie noch uner- 
schüttert währte, sollte ihre Freundschaft dem Hause Oesterreich Vortheil 
bringen. Mit schamloser Herzenskälte warb Kaiser Franz um die Gnade 
des Siegers. Im Frühjahr 1810, noch vor der Hinrichtung Andreas 
Hofer's, verlobte er die Erzherzogin Marie Luise mit Napoleon. Die 
Tochter des letzten römischen Kaisers wurde die Gemahlin des neuen 
Weltbeherrschers, und sie schändete ihr altes Haus durch flachen Leicht- 
sinn, durch unwürdige Schmeichelei gegen die Franzosen. Derselbe Erz- 
bischof von Wien, der vor Kurzem die Fahnen der Landwehr geweiht, 
segnete jetzt die nach katholischen Begriffen unzweifelhaft ehebrecherische 
Verbindung der beiden Kaiserhäuser. Das Lieblingsblatt der Wiener 
schilderte mit unterthäniger Dankbarkeit, wie Gott seinen eingebornen 
Sohn für die Erlösung der Menschheit dahin gegeben und der gute 
Kaiser Franz nach diesem Vorbilde seine Tochter für die Rettung des 
Vaterlandes opfere. So war Oesterreich im Jahre 1810. Niemals ist 
einer hochherzigen Erhebung ein tieferer sittlicher Fall gefolgt. 
Aus guten Gründen eilten die ersten Fürsten des Rheinbundes sofort 
nach dem Frieden wieder nach Paris, um sich der Gnade des Protectors 
nochmals zu versichern; denn überall hatte der Krieg die innere Hohlheit 
des rheinbündischen Regiments an den Tag gebracht. Wie viel Groll und 
Haß in dem Volke Frankens und Westphalens; welche Schwäche der 
Staatsgewalt in Sachsen, dessen König noch vor dem Einmarsch des 
Feindes mitsammt seinem Grünen Gewölbe das Land verließ und dann 
im sicheren Frankfurt, im alten Kaiserdome, dem Tedeum zur Feier der
	        
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