Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

38 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden. 
gewaltigen Zuchtmeister verstehen, wie er so athemlos durch's Leben 
stürmte, der Spott und Schrecken seiner Zeitgenossen, rauh und roh, 
scheltend und fuchtelnd, immer im Dienst, sein Volk und sich selber zu 
heißer Arbeit zwingend, ein Mann von altem deutschem Schrot und Korn, 
kerndeutsch in seiner kindlichen Offenheit, seiner Herzensgüte, seinem tiefen 
Pflichtgefühl, wie in seinem furchtbaren Jähzorn und seiner formlos un— 
geschlachten Derbheit. Der alte Haß des norddeutschen Volkes wider die 
alamodische Feinheit der wälschen Sitten, wie er aus Lauremberg's nieder— 
deutschen Spottgedichten sprach, gewann Fleisch und Blut in diesem 
königlichen Bürgersmanne; auch seine Härte gegen Weib und Kind zeigt 
ihn als den echten Sohn jenes classischen Zeitalters der deutschen Haus- 
tyrannen, das alle Leidenschaft des Mannes aus dem unfreien öffent- 
lichen Leben in die Enge des Hauses zurückdrängte. Streng und freud- 
los, abschreckend kahl und dürftig ward das Leben unter dem banausischen 
Regimente des gestrengen Herrschers. Die harte Einseitigkeit seines Geistes 
schätzte nur die einfachen sittlichen und wirthschaftlichen Kräfte, welche 
den Staat im Innersten zusammenhalten; er warf sich mit der ganzen 
Wucht seines herrischen Willens auf das Gebiet der Verwaltung und 
bewährte hier die ursprüngliche Kraft eines schöpferischen Geistes. So 
fest und folgerecht, wie einst Wilhelm der Eroberer in dem unterworfenen 
England, richtete Friedrich Wilhelm I. den Bau des Einheitsstaates über 
der Trümmerwelt seiner Territorien auf. Doch nicht als ein Landgut 
seines Hauses erschien ihm der geeinte Staat, wie jenem Normannen; 
vielmehr lebte in dem Kopfe des ungelehrten Fürsten merkwürdig klar 
und bewußt der Staatsgedanke der neuen Naturrechtslehre: daß der Staat 
bestehe zum Besten Aller, und der König berufen sei in unparteiischer 
Gerechtigkeit über allen Ständen zu walten, das öffentliche Wohl zu ver- 
treten gegen Sonderrecht und Sondervortheil. Diesem Gedanken hat er 
sein rastloses Schaffen gewidmet; und wenn sein Fuß mit den lockeren 
Unsitten des väterlichen Hofes auch alle die Keime reicherer Bildung ge- 
waltsam zertrat, die unter Friedrich I. sich zu entfalten begannen, so that 
er doch das Nothwendige. Die feste Mannszucht eines wehrhaften, arbeit- 
samen Volkes war für Preußens große Zukunft wichtiger als jene vor- 
zeitige Blüthe der Kunst und Wissenschaft. 
Eine sanftere Hand als die seine war hätte die Zuchtlosigkeit alt- 
ständischer Libertät niemals unter die Majestät des gemeinen Rechts 
gebeugt; zartere Naturen als diese niederdeutschen Kerneichen Friedrich 
Wilhelm und sein Wildling Leopold von Dessau hätten dem Sturmwinde 
wälschen Wesens, der damals über die deutschen Höfe dahinfegte, nie 
widerstanden. Als Organisatoren der Verwaltung sind diesem Soldaten- 
könige unter allen Staatsmännern der neuen Geschichte nur zwei eben- 
bürtig: der erste Consul Bonaparte und der Freiherr vom Stein. Er 
verband mit der Kühnheit des Neuerers den peinlich genauen Ordnungs-
	        
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