38 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
gewaltigen Zuchtmeister verstehen, wie er so athemlos durch's Leben
stürmte, der Spott und Schrecken seiner Zeitgenossen, rauh und roh,
scheltend und fuchtelnd, immer im Dienst, sein Volk und sich selber zu
heißer Arbeit zwingend, ein Mann von altem deutschem Schrot und Korn,
kerndeutsch in seiner kindlichen Offenheit, seiner Herzensgüte, seinem tiefen
Pflichtgefühl, wie in seinem furchtbaren Jähzorn und seiner formlos un—
geschlachten Derbheit. Der alte Haß des norddeutschen Volkes wider die
alamodische Feinheit der wälschen Sitten, wie er aus Lauremberg's nieder—
deutschen Spottgedichten sprach, gewann Fleisch und Blut in diesem
königlichen Bürgersmanne; auch seine Härte gegen Weib und Kind zeigt
ihn als den echten Sohn jenes classischen Zeitalters der deutschen Haus-
tyrannen, das alle Leidenschaft des Mannes aus dem unfreien öffent-
lichen Leben in die Enge des Hauses zurückdrängte. Streng und freud-
los, abschreckend kahl und dürftig ward das Leben unter dem banausischen
Regimente des gestrengen Herrschers. Die harte Einseitigkeit seines Geistes
schätzte nur die einfachen sittlichen und wirthschaftlichen Kräfte, welche
den Staat im Innersten zusammenhalten; er warf sich mit der ganzen
Wucht seines herrischen Willens auf das Gebiet der Verwaltung und
bewährte hier die ursprüngliche Kraft eines schöpferischen Geistes. So
fest und folgerecht, wie einst Wilhelm der Eroberer in dem unterworfenen
England, richtete Friedrich Wilhelm I. den Bau des Einheitsstaates über
der Trümmerwelt seiner Territorien auf. Doch nicht als ein Landgut
seines Hauses erschien ihm der geeinte Staat, wie jenem Normannen;
vielmehr lebte in dem Kopfe des ungelehrten Fürsten merkwürdig klar
und bewußt der Staatsgedanke der neuen Naturrechtslehre: daß der Staat
bestehe zum Besten Aller, und der König berufen sei in unparteiischer
Gerechtigkeit über allen Ständen zu walten, das öffentliche Wohl zu ver-
treten gegen Sonderrecht und Sondervortheil. Diesem Gedanken hat er
sein rastloses Schaffen gewidmet; und wenn sein Fuß mit den lockeren
Unsitten des väterlichen Hofes auch alle die Keime reicherer Bildung ge-
waltsam zertrat, die unter Friedrich I. sich zu entfalten begannen, so that
er doch das Nothwendige. Die feste Mannszucht eines wehrhaften, arbeit-
samen Volkes war für Preußens große Zukunft wichtiger als jene vor-
zeitige Blüthe der Kunst und Wissenschaft.
Eine sanftere Hand als die seine war hätte die Zuchtlosigkeit alt-
ständischer Libertät niemals unter die Majestät des gemeinen Rechts
gebeugt; zartere Naturen als diese niederdeutschen Kerneichen Friedrich
Wilhelm und sein Wildling Leopold von Dessau hätten dem Sturmwinde
wälschen Wesens, der damals über die deutschen Höfe dahinfegte, nie
widerstanden. Als Organisatoren der Verwaltung sind diesem Soldaten-
könige unter allen Staatsmännern der neuen Geschichte nur zwei eben-
bürtig: der erste Consul Bonaparte und der Freiherr vom Stein. Er
verband mit der Kühnheit des Neuerers den peinlich genauen Ordnungs-