Preußens Gebietsforderungen. 533
Gefangennahme Friedrich August's begrüßte Hardenberg triumphirend seinen
königlichen Herrn als König von Sachsen und Großherzog von Posen.
Durch die Eroberung Sachsens war die naturgemäße Entschädigung
für Preußen gefunden. Der preußische Staat erhielt durch diese Erwer—
bung das Mittel sich mit Rußland über die polnische Frage ganz zu
verständigen; er gewann eine wohlgesicherte Südgrenze, die um so unent—
behrlicher schien, da sein Gebiet gegen Osten hin offen blieb, und eine
deutsche Provinz, die durch Stammesart und Bildung, durch das kirch—
liche Bekenntniß wie durch die Interessen des Verkehres mit den nordi—
schen Nachbarlanden eng verbunden war. Für das Gedeihen des künf—
tigen Deutschen Bundes war die Entfernung eines Fürstenhauses, das fast
in allen Krisen unserer neueren Geschichte schwer an dem großen Vater-
lande gefrevelt hatte, ein unzweifelhafter Segen. Da man leider nicht
alle Könige von Napoleon's Gnaden nach Verdienst behandeln konnte, so
blieb es doch nothwendig mindestens an einem Rheinbundsfürsten eine
wohlthätige Züchtigung zu vollstrecken; wie heilsam ein solches Beispiel
auf die Gemüther des deutschen hohen Adels wirken mußte, ist durch die
Erfahrungen des Jahres 1866 überzeugend erwiesen. Aber alle die guten
Gründe, welche der preußisch-deutschen Politik die Einverleibung Sachsens
empfahlen, konnten dem Wiener Hofe nur als dringende Warnungen
erscheinen.
Der Gegensatz der Interessen der beiden Großmächte trat gerade in
der sächsischen Frage mit so schneidender Schärfe hervor, daß nur Harden-
berg's Vertrauensseligkeit sich darüber zu täuschen vermochte. Gneisenau's
Scharfsinn war über die einfache Wahrheit keinen Augenblick zweifelhaft.
Die Hofburg mußte wünschen die norddeutsche Großmacht möglichst weit
in den Osten zu schieben. Sie durfte nicht dem Staate, der schon durch
die vorspringende Gebirgsfeste der Grafschaft Glatz das östliche Böhmen
bedrohte, auch noch die Pässe des Erzgebirges ausliefern; sie konnte noch
weniger ein katholisches, dem kaiserlichen Hofe nahe verwandtes Fürsten-
haus preisgeben, das von jeher ein brauchbares Werkzeug gegen Preußen
gewesen. Und wie sollte sie die Entthronung eines napoleonischen Sa-
trapen billigen, da sie sich ja aus den Mittelstaaten eine ergebene öster-
reichische Partei bilden wollte? Am 29. October schrieb Gentz schwer be-
sorgt an Metternich: „die täglich mehr am's Licht tretenden ländersüchtigen
Projecte der Preußen werden uns dereinst mehr zu schaffen machen als
die Hauptverhandlung mit Napoleon selbst.“ Radetzky aber sagte zu
Frankfurt in einer vertraulichen Denkschrift: es sei dringend zu wünschen,
daß die Preußen, „wie sie sich jetzt zeigen,“ beim einstigen Frieden mög-
lichst wenig Truppen übrig behielten.
Noch schien es nicht an der Zeit, solche Gesinnungen offen auszu-
sprechen. Zu laut erklang noch selbst im sächsischen Volke der allgemeine
Unwille wider die Sünden des albertinischen Hofes; sogar der Welfe