Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

642 II. 1. Der Wiener Congreß. 
wie sündlich der Staatshaushalt, der freilich noch immer minder ver— 
schuldet war als die erschöpften Finanzen Preußens, durch eine faule, 
schwerfällige und bestechliche Verwaltung verwahrlost sei, und gerieth mit 
den Mitgliedern des sächsischen Finanz-Collegiums hart an einander.) 
Den sächsischen Edelleuten, welche bisher den Abtheilungen des General- 
gouvernements vorgestanden, wurden bürgerliche Beamte an die Seite 
gesetzt, so der Geh. Rath Krüger, ein echter Sohn der tüchtigen, rück- 
sichtslos strengen altpreußischen Beamtenschule, und der sächsische Hof- 
rath Ferber, ein alter Gegner der Ständeherrschaft, beim Adel längst als 
Demagog verrufen. Darüber denn große Entrüstung. Die Gekränkten 
hielten die heiligen Rechte „der sächsischen Nation“ für gefährdet — die 
harmlose Verwechslung des persönlichen mit dem allgemeinen Interesse 
bleibt ja die Erbsünde kleinstaatlicher Weltanschauung — und brachten den 
armseligen Handel bis vor den Congreß. Stein, der in Streitigkeiten 
zwischen Edelleuten und „Officianten“ selten unparteiisch verfuhr, schalt auf 
die Roheit der Preußen. Der Staatskanzler aber wies die Klagenden scharf 
ab: „Sie können aus diesen nur persönlichen Differentien nicht eine Sache 
des sächsischen Volkes machen, als dessen Repräsentanten Sie keineswegs 
angesehen werden können.“ 
Die verständigen Leipziger Geschäftsmänner faßten bald Zutrauen 
zu dem neuen straffen und gerechten Regimente; der Curs der Staats- 
papiere und Kassenbillets stieg sofort. Mit warmen Worten dankte der 
Handelsconsulent Gruner dem Staatskanzler, daß er der Adelsherrschaft 
entgegentrete; in ihr liege der Grund „der unserer Administration eigen- 
thümlichen Schwerfälligkeit“. Noch entschiedener schrieb der Chef des großen 
Bankhauses Reichenbach: „Die Leute werden bald zu bekennen gezwungen 
sein, daß der das Heil des Vaterlandes nicht will, der die alte Verwirrung, 
den häßlichen Schlendrian und die starrköpfige Aufrechthaltung alter Miß- 
bräuche wünscht, welche eine gewisse Clique für unser Palladium ausgeben 
möchte.““) Einige dieser alten Mißbräuche waren freilich auch der wackern 
Leipziger Bürgerschaft theuer. Die Stadt hatte bisher nahezu einen Staat 
im Staate gebildet; sie hielt ihre eigenen Stadtsoldaten, keine landesherr- 
lichen Truppen durften in ihren Mauern erscheinen; der Stadtrath erfreute 
sich des behaglichen Rechtes, Niemand von der Verwaltung des Gemeinde- 
vermögens Rechenschaft abzulegen u. s. w. Unter der Hand ließ man um die 
Erhaltung dieser Privilegien bitten. Der Staatskanzler konnte jedoch, so lieb 
ihm die Stadt war, lediglich die Bewahrung der alten Meßprivilegien und 
eine freie Gemeindeverfassung zusagen; er versprach auch, die nothwendigen 
  
*) Darüber berichtet der Finanzminister von Bülow ausführlich an den Staats- 
kanzler, Berlin, 8. December 1814. 
**) Gruner an Stägemann 27. November, Reichenbach an Hardenberg 28. No- 
vember 1814.
	        
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