Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Erbitterung der Deutschen. 793 
Franzosen empfanden nicht nur, wie billig, die mehrjährige Anwesenheit 
der fremden Truppen als eine unauslöschliche Schmach; sie nahmen auch 
den beispiellos milden Frieden für eine grausame Beleidigung. Nicht 
Saarbrücken oder Landau lag ihnen am Herzen; was sie nicht vergessen 
konnten war die Niederlage von Belle Alliance. Rache für Waterloo: 
— dies blieb für Jahrzehnte der Schlachtruf des französischen Volkes. 
Diesem Gedanken entsprangen die Revolution von 1830, die Kriegs— 
drohungen von 1840 und die Wiederherstellung des Kaiserreiches, bis 
dann nach einem halben Jahrhundert der alte Herzenswunsch in einem 
wüsten Eroberungskriege sich entlud und der deutsche Sieger die Unter— 
lassungssünden von 1815 endlich fühnte. 
So blieb das Verhältniß zwischen den beiden Nachbarvölkern auf 
Jahrzehnte hinaus krankhaft unsicher und gespannt. Die Deutschen 
empfingen die Kunde von dem faulen Frieden mit bitterem Zorne. So 
recht im Namen seines Volkes rief Blücher: „Preußen und Deutschland 
steht trotz seiner Anstrengungen immer wieder als der Betrogene vor der 
ganzen Welt da“ — worauf er dann abermals seinen Ingrimm gegen 
die Diplomatiker aussprach und zornig fragte, wie lange denn „diese 
sonderbare Versammlung von Unterthanen, die ihre eigenen Monarchen 
beherrschen,“ noch bestehen solle. In ihrer naiven Unkenntniß der poli- 
tischen Verhältnisse hatten viele Deutsche alles Ernstes gehofft, in Paris 
würden nicht nur die alten Grenzen des Vaterlandes wieder hergestellt, 
sondern auch die Gebrechen der Bundesverfassung geheilt werden. Schenken- 
dorf wollte die Hoffnung nicht aufgeben, daß man den Erben der Leopolde 
und Ferdinande, der die deutsche Krone so kaltblütig verschmähte, nun doch 
zwingen könnte, sich mit dem alten Purpur zu bekleiden. Der treue Mann 
konnte die Stunde gar nicht erwarten, da das versteinerte Birnengesicht 
des Kaisers Franz wieder mit dem Reife der Karolinger geschmückt würde, 
und sang: 
O sei denn endlich weiser, 
Du Herde ohne Hirt, 
Und wähle schnell den Kaiser 
Und zwing' ihn daß er's wird! 
Welche Entrüstung nun unter diesem teutonischen Geschlechte, als sich 
ergab, daß Alles beim Alten blieb, daß die Kaiserherrlichkeit begraben war, 
daß Rappoltsweiler und Oberehnheim wieder Ribeauvillé und Obernay 
heißen, daß die alten schönen Heimathlande deutscher Gesittung wieder 
von dem Schlamme wälscher Verbildung überfluthet werden sollten, um 
vielleicht für immer darin zu versinken! In tausend deutschen Herzen 
hallte die Klage des Dichters wieder: 
Doch dort an den Vogesen 
Liegt ein verlornes Gut. 
Da gilt es, deutsches Blut 
Vom Höllenjoch zu lösen!
	        
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