Die Pariser Gesandtenkonferenz. 119
Weltteil minder gewaltsam, aber ebenso unumschränkt wie einst der Wille
Napoleons. Die Staaten zweiten Ranges — les Sous-Alliés nannte
man sie spöttisch in den diplomatischen Kreisen des Vierbundes — sahen
sich von allen Geschäften der großen Politik völlig ausgeschlossen; als der
hochmütige spanische Hof, der die Zeiten Philipps II. nicht vergessen konnte,
Zutritt zu der Pariser Gesandtenkonferenz verlangte, ward er scharf zurück—
gewiesen, am schärfsten von Preußen. Nirgends aber ward das Über-
gewicht der vier Mächte schwerer empfunden, als in Frankreich. Obwohl
die Franzosen von den außerordentlichen Machtbefugnissen der Gesandten—
konferenz nichts Sicheres wußten, so pflegt doch in Fragen der nationalen
Ehre der Instinkt der Massen selten ganz zu irren. Die Nation ahnte
dunkel, daß ihre Regierung durch das Ausland beaufsichtigt wurde, und
verfolgte mit überströmendem Hasse den „Lord Prokonsul“ Wellington. Die
Herrschaft des alten Königtums konnte schon darum nicht wieder feste
Wurzeln schlagen, weil sie dem Volke als eine Fremdherrschaft erschien.
Nur zu bald bewährte sich die Warnung, welche Humboldt dem Pariser
Friedenskongresse zugerufen hatte: die Revolution werde niemals endigen,
wenn Europa die Franzosen unter seine Vormundschaft nehme.
Die vier Mächte betrachteten sämtlich den Bestand der legitimen
Dynastie als einen Grundpfeiler der neugeordneten Staatengesellschaft und
behandelten dabei den französischen Hof mit aufrichtigem, besorgtem Wohl-
wollen. Kaum hatte der Pariser Kongreß die Frage der Landabtretung
ins Reine gebracht, so begann Gneisenau sofort, noch im Oktober 1815,
eine tief geheime Verhandlung mit den Tuilerien. Rücksichtslos wie auf
dem Schlachtfelde pflegte der kühne Mann auch in der Politik seine Mittel
zu wählen; hatte er doch zur Zeit der sächsischen Händel allen Ernstes er-
wogen, ob Preußen nicht mit Hilfe des zurückgekehrten Napoleon seine An-
sprüche durchsetzen solle. So schien ihm jetzt selbst ein abenteuerlicher Weg
erlaubt, wenn nur das Ziel, die Befestigung des neuen Staatensystems,
erreicht wurde. Sein Unterhändler, Major v. Royer, ein Legitimist in
preußischen Diensten, bot dem Herzog von Richelien, mit Hardenbergs Ge-
nehmigung, geradezu ein geheimes Bündnis an: Preußen als der nächste
Nachbar sollte sich verpflichten, den Bourbonen im Falle einer Revolution
mit seiner gesamten Kriegsmacht Beistand zu leisten. Die Verhandlung
führte zu keinem Ergebnis, offenbar weil König Friedrich Wilhelm schließ-
lich Bedenken trug so weitaussehende, gefährliche Verpflichtungen zu über-
nehmen; doch sie bewies genugsam, daß Preußens Regierung entschlossen
war, die Ränke Talleyrands sowie alle die anderen Proben bourbonischer
Undankbarkeit gänzlich zu vergessen und mit dem westlichen Nachbarn in
guter Freundschaft zu leben.)
*) Nach den Briefen Royers an Gneisenau v. 3. Oktbr. 1815 ff., die mir Herr
Dr. H. Delbrück freundlich mitgeteilt hat. Der Grund des Scheiterns der Verhandlung