232 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
eigenen Gedanken in den Arbeiten dieser gewandten Feder treu wie in einem
Spiegel wiederzufinden. Als er freilich nach Steins Sturz selber an das
Ruder des Staates trat, da litt er kläglich Schiffbruch; sein feiner Kopf
täuschte sich niemals über die Gefahren der Lage, aber die Spannkraft
des Entschlusses blieb dem Angstlichen versagt. Wenn er stundenlang
seine Bedenken und Gegenbedenken vortrug, ohne je ein Ende zu finden, so
erstaunten die Hörer zugleich über die Hellsichtigkeit und die Unfruchtbarkeit
seines Geistes. Späterhin, beim zweiten Pariser Frieden leitete er die Zu-
rücknahme der geraubten Bücher- und Kunstschätze mit gründlicher Sach—
kenntnis und erregte durch seine reiche gelehrte Bildung zuerst wieder die
Aufmerksamkeit des Königs, der ihm den kleinmütigen Vorschlag der
Abtretung Schlesiens lange nachgetragen hatte. So geschah es, daß er
bei dem Ministerwechsel von 1817 endlich den rechten Wirkungskreis für
seine Begabung angewiesen erhielt; ein freundliches Geschick vergönnte ihm,
durch die Tätigkeit seines Alters das Andenken an die traurige Politik
von 1809 schon bei der Mitwelt fast zu verwischen.
In allen Fächern der Wissenschaft war er zu Hause, und nie fühlte
er sich glücklicher als wenn er draußen in Werder unter den blühenden
Bäumen seines Weinbergs am Havelufer beschaulich seinen Gedanken nach-
gehen durfte. Die Philosophie erschien ihm als die Königin der Wissen-
schaften, aber selbst in diesem seinem Lieblingsfache zeigte er mehr weiche
Empfänglichkeit als selbständige Gedanken; unwillkürlich folgte er den Strö-
mungen der Zeit und wendete sich von Fichtes Lehren bald dem auf-
steigenden Gestirne Hegels zu. Er dachte groß von seinem neuen Amte,
dem „das Höchste der Menschheit“ anvertraut sei, und stellte sich die Auf-
gabe, diesen Staat im Sinne Hegels zum Staate der Intelligenz aus-
zugestalten. Jahraus jahrein kämpfte er unverdrossen mit dem sparsamen
Ladenberg um die Geldmittel; blieb die königliche Generalkontrolle uner-
bittlich, dann half er wohl aus eigenen Mitteln nach und zahlte aus
seiner Tasche Pensionen an Predigerwitwen, Reisestipendien an junge
Gelehrte und Künstler. Auch die Freiheit der Forschung fand an dem
milden Gelehrten einen treuen Beschützer; wenn ihn die Eiferer der Re-
aktion mit ihren Klagen und Anzeigen bestürmten, so beschwichtigte er
sie gelassen durch seinen Lieblingsspruch: „viele Übel der Zeit heilt die
Zeit selbst."
Für das neu erwachende religiöse Leben zeigte Altensteins weltliche
Gesinnung wenig Verständnis, das Verlangen nach einer freien evangeli-
schen Gemeindeverfassung schien ihm kaum minder staatsgefährlich als die
Herrschsucht der Ultramontanen: hatte doch sein Hegel so klar erwiesen, daß
die Kirche, das Reich der Vorstellungen, sich dem Reiche des Begriffs, dem
Staate schlechthin unterordnen müsse. Darum hielt er sich in der Kirchen-
politik an das gemäßigte Territorialsystem des Landrechts: das Staatsober=
haupt sollte die evangelische Kirche nach evangelischen, die katholische nach