234 II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
gestaltung, zumal da sie jetzt auch den thüringischen Landesteilen einen
Ersatz für die längst aufgehobene Erfurter Hochschule bieten sollte. Mit
dieser Aufgabe verkettete sich die peinliche Frage, ob neben der Heimstätte
des reformatorischen Pietismus noch ihre alte Feindin, die kursächsische
Fridericiana im nahen Wittenberg fortbestehen könne. Der Pietät des
Königs lag nichts ferner als die Absicht die Kultur der Provinzen zum
Vorteil Berlins zu verkümmern; er hoffte womöglich in jeder Provinz
eine blühende Hochschule als den geistigen Mittelpunkt des landschaftlichen
Sonderlebens erstehen zu sehen, und am wenigsten die Wiege der Re-
formation wollte der treue Protestant ohne dringende Not antasten. Aber
in dem unglücklichen Wittenberg war nichts mehr zu zerstören. Zwei-
hundert Jahre lang war die weiland glorreichste aller deutschen Univer-
sitäten nur ein Zerrbild alter Größe gewesen, die Hochburg eines geistlosen
Buchstabenglaubens, der ex cathedra Lutheri seine Bannstrahlen schleu-
derte und die Religion durch die Theologie ertötete. Als gegen Ausgang
des achtzehnten Jahrhunderts endlich ein freierer Geist in den entweihten
Hörsaal des Reformators einzog, war der Verfall der Hochschule nicht
mehr aufzuhalten. Die Belagerung von 1813 gab der Universität den
Todesstoß: die Studenten stoben auseinander, die Bibliothek ward geflüchtet,
die akademischen Gebäude gingen in Flammen auf, und das kleine Häuflein
der Professoren, das sich nach Schmiedeberg gerettet hatte, legte dem säch-
sischen Hofe selber die Frage vor, ob nicht die Vereinigung mit Leipzig
geboten sei.
Sollte Preußen jetzt auf dieser Trümmerstätte einen Neubau aufführen,
in einer zur Grenzfestung bestimmten Stadt, so nahe bei den drei anderen
sächsischen Universitäten, die einander ohnehin schon oft das Licht ver-
traten? Die lebendige Gegenwart forderte ihr Recht vor der ruhmvollen
Vergangenheit; Halle besaß, trotz schwerer Verluste, doch noch einen leid-
lich vollständigen Lehrkörper, zahlreiche Institute und eine rasch wieder
anwachsende Studentenschaft. Schweren Herzens befahl der König noch
von Wien aus, im April 1815, die Vereinigung der beiden Friedrichs-
Universitäten in Halle. Die Wittenberger Professoren selbst versuchten
keinen Widerspruch, ihrer sieben traten im Frühjahre 1817 in die neue
Universität Halle-Wittenberg ein: das war alles was von der glänzenden
Stiftung Friedrichs des Weisen noch übrig blieb. Das Volk aber im
Herzogtum Sachsen klagte laut, als gerade im Jubeljahre der Refor-
mation die Hochschule der alten Lutherstadt in das Magdeburgische über-
siedeln mußte: jetzt haben die Preußen dem Sachsenlande das Herz aus-
gebrochen, sagte man zornig. Erst nach Jahren, als die neue Doppel-
Universität unter Altensteins sorglicher Pflege kräftig aufgeblüht war,
begann man einzusehen, daß der König das Notwendigste getan und die
Provinz durch den Untergang von zwei verlebten Universitäten an geistigen
Kräften nichts verloren hatte. Nur die Stadt Wittenberg ließ sich durch