Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Landgemeinde- und Städte-Ordnung. 109 
wegs zu verlangen, über die Patrimonialgerichte hatte sie ohnehin nichts 
zu entscheiden; sie sah auch ein, daß man den Grundherrn zum Eintritt 
in die Dorfgemeinde, die ihm vor Kurzem noch unterthänig gewesen, nicht 
ohne Weiteres zwingen durfte. Auf der anderen Seite war die Wieder- 
einführung der Gutsherrschaft in den westlichen Provinzen unmöglich und 
die Ernennung des Schulzen durch den Grundherrn jetzt eine offenbare 
Ungerechtigkeit, da die Interessen des Dorfes und des Rittergutes bei der 
noch unvollendeten Auseinandersetzung oft genug feindlich auf einander 
stießen. Daher ward ein Mittelweg eingeschlagen. Der Grundherr sollte 
einstweilen behalten was ihm von Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt noch 
zustand, aber der Landrath war befugt in Polizeisachen dem Dorsschulzen 
unmittelbar zu befehlen. Der Gutsherr durfte ferner beim Landrath 
Einspruch erheben gegen die Schulzenwahl und zur Wahrung seiner 
Rechte sich das Gemeindebuch vorlegen lassen; er konnte endlich verlangen, 
daß sein Gut, wenn es bisher dem Dorfverbande noch nicht angehört 
hatte, auch fernerhin einen besonderen Gutsbezirk unter seiner persönlichen 
Leitung bilden solle. Die ausgesprochene Absicht dieser Vorschläge ging 
dahin, den Dörfern und den Gutsbezirken in Zukunft „die gänzliche 
Vereinigung zu erleichtern“. Aber wie gründlich täuschte man sich doch am 
grünen Tische über die Gesinnung des Landadels, wenn die Commission 
hoffen konnte, die Grundherren würden ihre Polizeigewalt bald selber „als 
eine unnütze Last betrachten“. 
Minder tief griffen die Vorschläge der Commission in die Städte- 
ordnung ein. Hier galt es nur einige Mängel des Stein'schen Gesetzes zu 
beseitigen, welche sich in der Erfahrung erwiesen hatten und von Stein 
selbst nicht abgeleugnet wurden. Jedermann gab zu, daß die Städte- 
ordnung die grundverschiedenen Verhältnisse der einzelnen Communen allzu 
gleichmäßig regelte; darum forderte die Commission für jede Stadt die 
Befugniß, mit Genehmigung des Staates ein Ortsstatut zu vereinbaren. 
Sodann hatte das Bürgerrecht seit der Einführung der Gewerbefreiheit 
seine wirthschaftliche Bedeutung verloren; Gewerbe zu treiben, städtische 
Grundstücke zu erwerben stand jetzt einem Jeden frei. Das einzige 
wesentliche Recht des Bürgers blieb fortan die Theilnahme an der 
Gemeindeverwaltung. Demgemäß verlangte die Commission, daß fortan 
den sogenannten Notabeln, den Staatsdienern, Geistlichen, Gelehrten, die 
bisher zumeist Schutzverwandte geblieben waren, die Erwerbung des 
Bürgerrechts erleichtert würde; von dem hohen Census aber, dessen Ein- 
führung die Hochconservativen forderten, wollte sie nichts hören. 
Eine andere Beschwerde der Conservativen richtete sich wider die 
mangelhafte Staatsaufsicht; „unsere Städte sind zu kleinen Republiken 
geworden,“ hieß es im Lager der altständischen Partei. In der That ließ 
der Staat die großen Communen ganz frei gewähren und den Magistraten 
selbst grobe Gesetzesverletzungen hingehen; es kam vor, daß eine Stadt
	        
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