414 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
heit er beklagte und dessen Glanz er doch nicht missen mochte. Auch in
der Politik war er nicht arm an feinen Gedanken und neuen Gesichts—
punkten; er verstand zu wachsen mit der wachsenden Zeit und lernte, nach—
dem er anfangs den antirevolutionären Anschauungen Niebuhr's blind—
lings gefolgt war, die constitutionellen Ideen des Jahrhunderts billiger
zu beurtheilen; er liebte das Vaterland seiner Wahl mit glühender Be—
geisterung und gab selbst in dieser muthlosen Zeit nicht die Hoffnung
auf, daß Preußen dereinst die Deutschen beherrschen werde. Aber er wußte
von seinem Staate sehr wenig. Ihm fehlte gänzlich die Kenntniß des
praktischen Lebens und seiner endlichen Bedürfnisse, die dem Staatsmanne
so wesentlich ist wie dem Künstler die Beherrschung der technischen Hand—
griffe; ihm fehlte selbst die Gabe das Wirkliche nüchtern zu beobachten,
dies erste und unentbehrlichste Talent für einen Diplomaten, der dem
harten Realismus der vaticanischen Politik Stand halten sollte. Fort
und fort wiegte sich sein Selbstgefühl in holden Täuschungen. Weil sein
gastliches Haus gern besucht wurde, meinte er schon eine Macht in Rom
zu sein. Wenn er aus den Fenstern seines Palastes, von der ehr—
würdigsten Stelle Roms, wo einst der Tempel des Jupiter Capitolinus ge—
standen, hinabschaute auf die ewige Stadt und die Kuppelkirche des Gesuüͤ
tief zu seinen Füßen, da überkam ihn zuweilen ein Rausch der Ueberhebung,
und er redete in seinen Briefen, als wäre er ein protestantischer Gegenpapst
hier mitten im katholischen Babel. So oft ihm der Papst oder ein Car—
dinal eine jener Artigkeiten sagte, welche den Südländern gar nichts kosten,
rühmte er sich eines großen diplomatischen Erfolges. Obgleich er die
mächtige reaktionäre Stimmung in der Kirche wohl bemerkte, so hielt er
doch sein Preußen für vollkommen sicher, da der Staat in seinen trefflichen
Bildungsanstalten ein unfehlbares Mittel besitze um alle ultramontanen
Einflüsterungen abzuweisen und „der römische Stuhl über unsere Katho—
liken nur eine sehr gemäßigte Autorität ausüben werde“. Die stolze Zu—
versicht seiner Berichte gewann ihm in Berlin hohes Vertrauen; man über—
schätzte ihn allgemein, Mancher stellte ihn hoch über Niebuhr.
Als die Händel wegen der gemischten Ehen sich verschärften, wurde
er im Herbst 1827 nach Berlin gerufen, um sachkundigen Rath zu er—
theilen. Dort eroberte er im Sturme Aller Herzen, er bezauberte Eich—
horn, Bernstorff, den Kronprinzen und vornehmlich den König selbst. Kein
anderer Mann hatte jemals von dem alternden Fürsten so viel väterliche
Güte erfahren; die neidischen Hofleute meinten, es fehle nur noch, daß
der König den jungen Doktor an Sohnesstatt annehme, sonst könne er
nichts mehr für ihn thun. Bis in die ländliche Abgeschiedenheit des
Paretzer Schlößchens, das niemals ein Minister betrat, durfte Bunsen
seinem gnädigen Herrn folgen; wie ein alter Hausfreund war er zugegen,
wenn der König mit seiner Gemahlin Schach spielte. Für seine capi—
tolinische Liturgie, die er eigenmächtig in der Gesandtschaftsgemeinde ein—