Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Anhaltischer Schleichhandel. 45 
der Schleichhandel blühte fröhlich fort, die Grenzwache Preußens war 
machtlos gegen den bösen Willen der herzoglichen Behörden. Obwohl 
der Berliner Hof über Adam Miüller's Ränke genau unterrichtet war, 
so wollte er doch schlechterdings nicht glauben, daß Fürst Metter- 
nich das Treiben seines Generalconsuls billige. Jahrelang ertrug der 
preußische Adler langmüthig die Bisse der anhaltischen Maus, immer 
in der Hoffnung, daß die drei Herzoge endlich noch ihr Wort einlösen 
würden. 
Und in diesem Streite, der alle Selbstsucht, allen Dünkel, alle Thor- 
heit der Kleinstaaterei an den Tag brachte, stand die deutsche Presse wie 
ein Mann zu den anhaltischen Schmugglern. Der Schmerzensschrei des 
freien Kötheners war das Wiegenlied der deutschen Handelseinheit, die 
erst nach zwei Menschenaltern auf demselben Elbstrome unter den Wehe- 
rufen des freien Hamburgers ihr letztes Ziel erreichen sollte. Mit einer 
Verblendung ohne gleichen täuschte sich die Bevölkerung der kleinen Staaten, 
bei jeder Wendung dieses wirrenreichen Kampfes, regelmäßig über ihr eige- 
nes und des Vaterlandes Wohl, um jedesmal, sobald der gefürchtete An- 
schluß an Preußen endlich vollzogen war, die Nothwendigkeit der Aenderung 
nachträglich dankbar anzuerkennen. Ebenso regelmäßig verdeckte der Parti- 
cularismus seine Selbstsucht hinter dem schönen Worte der Freiheit; bald 
nahm er die Freiheit des Handels, bald das freie Selbstbestimmungsrecht 
der deutschen Stämme, bald auch beides zugleich zum Vorwand, und jedes- 
mal ließ sich die vom Liberalismus beherrschte öffentliche Meinung durch 
solche hohle Kraftworte verführen. 
Die unausrottbaren Vorurtheile wider das preußische Zollgesetz wirkten 
zusammen mit jener gedankenlosen Gemüthlichkeit, die es unbesehen für 
unedel hält, bei einem Kampfe zwischen Macht und Ohnmacht die Partei 
des Stärkeren zu ergreifen. Und dazu der juristische Formalismus un- 
serer politischen Bildung, der gar nicht ahnte, daß im Staatenverkehre das 
formelle Recht nichtig ist, wenn es nicht durch die lebendige Macht ge- 
tragen wird. War denn Köthen nicht ebenso souverän wie Preußen? Wie 
durfte man dieser souveränen Macht einen Zollanschluß zumuthen, der 
ihr freilich nur Segen bringen konnte und sich aus ihrer geographischen 
Lage mit unabwendbarer Nothwendigkeit ergab, aber ihrem freien Selbst- 
bestimmungsrechte widersprach? Und wenn es ihr beliebte, die Freiheit 
der Elbe zur boshaften Schädigung des Nachbarlandes zu gebrauchen — 
in welchem Artikel der Bundesakte war dies denn verboten? Daß Anhalt 
sich durch die Wiener Verträge zur Beseitigung des Schleichhandels ver- 
bunden hatte, überging man mit Stillschweigen. Bignon, der alte Anwalt 
der deutschen Kleinstaaten, trat ebenfalls auf den Kampfplatz mit einem 
offenen Briefe über den preußisch-anhaltischen Streit. Er beklagte schmerz- 
lich, daß Frankreich nicht mehr wie sonst vom Niederrheine her des Richter- 
amtes über Deutschland warten könne; aber „Frankreich ist von der Natur
	        
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