Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

48 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
Liberalen, weil er voraussah, daß Oesterreich vielleicht bald alle seine 
Kraft wider die Revolution in Südeuropa werde verwenden müssen, und 
hielt darum für nöthig, den reaktionären Eifer des Freundes zu be- 
sänftigen. 
In einer langen salbungsvollen Denkschrift (4. Mai) wiederholte er 
dem Badener zunächst seine alte Lieblingslehre, daß in so stürmischen 
Tagen die Erhaltung des Bestehenden das Ziel aller Wohlgesinnten sei, 
und reihte daran den geistreichen Satz: „in diesem Punkte, mit welchem 
Alles gerettet, ja selbst das Verlorene zum Theil noch wiedergewonnen 
werden kann, müssen alle Anstrengungen zusammentreffen.“ Auf diese 
Axiome, welche der gesammten diplomatischen Welt schon längst als eisernes 
Inventar der k. k. Kanzleisprache wohlbekannt waren, folgten jedoch die 
in Metternich's Munde unerhörten Worte: „Wir begreifen aber dar- 
unter nicht blos die alte, nur in wenig Staaten unberührt gebliebene 
Ordnung im engeren Sinne des Worts, sondern auch neu eingeführte 
Institutionen, sobald sie einmal verfassungsmäßige Kraft haben. In 
Zeiten wie die jetzigen sind, ist der Uebergang vom Alten zum Neuen kaum 
mit größeren Gefahren verbunden, als die Rückkehr vom Neuen zu dem 
bereits erloschenen Alten. Der eine Versuch kann wie der andere mate- 
rielle Unruhen herbeiführen, die heute um jeden Preis vermieden werden 
müssen. Den Einwurf, daß es unter den in Deutschland bisher ein- 
geführten Verfassungen solche gebe, die gar keine Basis und folglich auch 
keinen Anhaltspunkt gewährten, betrachten wir als ungegründet. Jede 
einmal bestehende Ordnung — sie müßte denn, wie etwa die Consti- 
tution der Cortes von 1812, das Werk reiner Willkür und unsinniger 
Verblendung sein — enthält Stoff zu einem besseren System.“ Darauf 
erinnert er die kleinen Höfe an die Eintracht der großen Mächte, an die 
soeben in Wien neu befestigte Vereinigung zwischen den deutschen Bundes- 
staaten, und ermahnt sie schließlich zu einem streng gesetzlichen, verfassungs- 
mäßigen Regimente. Im Nothfalle bleibe ihnen noch „die Appellation 
an die Hilfe der Gesammtheit. Wenn Oesterreich, in seinem Innern 
unbewegt, noch eine ansehnliche Masse moralischer Kräfte und materieller 
Mittel besitzt, so wird es beide auch für seine Bundesgenossen zu ver- 
wenden bereit sein.““) Also kein Wort mehr von der Wiederherstellung 
der alten Landstände; dieselben süddeutschen Verfassungen, welche Metter- 
nich in Karlsbad als demagogisch verdammt hatte, erkannte er jetzt als 
einen unantastbaren Rechtsboden an. 
  
*) Der Abdruck der Note vom 4. Mai 1820 bei Welcker, wichtige Urkunden S. 335, 
stimmt — bis auf mehrere, offenbar verlesene oder verschriebene Wörter — vollständig 
überein mit dem Originale, das sich zu Karlsruhe im Archiv des Min. d. a. A. befindet. 
Die im Wortlaute stark abweichende Denkschrift, welche in Metternich's hinterlassenen 
Papieren III. 372 abgedruckt ist, kann mithin, gleich vielen anderen Aktenstücken dieser 
Sammlung, nur ein Concept sein.
	        
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