Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Abbruch der Verhandlungen mit Baden. 361 
einiger Zeit in schnöden Worten erklären, daß er mit dem unbelehrbaren 
badischen Hofe nichts mehr zu schaffen haben wolle.*) In Berlin urteilte 
man milder, doch die erneuten Verhandlungen blieben fruchtlos. Der 
königliche Dichter in München hinterließ die imaginären Sponheimer An— 
sprüche seinen Nachfolgern als ein heiliges Vermächtnis, untertänigen 
Historikern als einen köstlichen Stoff für bajuvarische Großsprechereien. 
Also ward Baden, früherhin immer ein wackerer Vorkämpfer der deutschen 
Handelseinheit, teils durch die Torheit seiner Kammern, teils durch 
eine seltsame diplomatische Verwicklung ganz in das Hintertreffen gedrängt 
und von den entscheidenden Verhandlungen der Zollvereinspolitik mehrere 
Jahre hindurch ausgeschlossen. — 
Die leidenschaftliche, uns heute fast rätselhafte Erbitterung dieser 
bayrisch-badischen Händel spiegelte sich wider in einem seltsamen Abenteuer, 
das die Zeitgenossen viele Jahre hindurch lebhaft beschäftigte. Zu Pfingsten 
1828 kam ein junger Bauerbursch, angeblich Kaspar Haufer benamset, 
nach Nürnberg, um bei den Chevau-legers als Reiter einzutreten; der 
verwahrloste Mensch war geimpft, konnte etwas lesen und schreiben, auch 
einfache Fragen in seinem oberpfälzischen Dialekt notdürftig beantworten, 
und trug die unter bayrischen Bauersleuten üblichen katholischen Gebet- 
bücher bei sich. Er überbrachte einen geheimnisvollen Brief, dessen Hand- 
schrift seiner eigenen sehr ähnlich sah. Der dunkle Sinn dieses Schreibens 
und das scheue, sonderbare Wesen des Burschen erregten die öffentliche 
Neugier; durch törichte Fragen ward bald ein ungeheuerliches Märchen 
aus ihm herausgeforscht: er wollte von Kindesbeinen an in einem finsteren 
unterirdischen Kerker gelegen, dann urplötzlich von seinem unsichtbaren 
Kerkermeister das Sprechen, Lesen und Schreiben gelernt haben. Der 
Bürgermeister Binder von Nürnberg verkündete alsdann in einer schwül- 
stigen, die gefühlsselige Lesewelt zerknirschenden Bekanntmachung, daß die 
Gemeinde den Findling „als ein ihr von der Vorsehung anvertrautes Pfand 
der Liebe betrachte“, und übergab seinem Schwiegersohne Daumer, einem 
geistreichen, aber unerfahrenen und durchaus verschrobenen Gelehrten, die 
Erziehung des Wunderkindes. Pädagogen, Arzte und Kriminalisten, Ho- 
möopathen, Wundertäter und Geisterseher, blasierte Weltmänner, Wiß- 
begierige aller Stände eilten herbei, um diesen Tiermenschen, der in allem 
von den gemeinen Sterblichen abweichen sollte, zu ergründen, jedes Organ 
seines Leibes und seiner Seele verwegenen Experimenten zu unterwerfen. 
Eine ganze Literatur von Aufsätzen und Flugschriften beschäftigte sich 
mit dem „Kinde von Europa“. Alle Schwächen einer tatenarmen und 
doch nach Taten dürstenden Zeit, der romantische Wunderglaube, die 
nervöse Reizbarkeit, der überkluge Scharfsinn, die Lust am Skandal und 
der radikale Haß gegen die vornehme Welt fanden hier ihre Rechnung. 
  
*) Note des württemb. Gesandten Frhr. von Linden an Bernstorff, 20. April 1832.
	        
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