Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Der Pentarchist. 541 
land der wohlwollende Protektor der kleinen deutschen Staaten werden 
müsse.“) Denselben Gedanken entwickelte auch „die Pentarchie“ in vor- 
sichtigen Andeutungen. Schwerlich hat Zar Nikolaus selbst diesen Plänen 
zugestimmt. Er wünschte wohl, wie alle Fürsten des Auslandes, den Fort- 
bestand der deutschen Kleinstaaterei, damit die Schwäche Mitteleuropas 
dauere, und jede Untertänigkeit unserer Kleinfürsten hieß er willkommen; 
doch er war zu sehr Soldat, um auf diese waffenlosen Höfe viel Wert 
zu legen. Sein Übermut trachtete nach Größerem, er hoffte zur rechten 
Zeit die deutschen Großmächte selbst in den Kampf gegen die Revolution 
zu führen. 
Indessen die Andeutungen des Pentarchisten und jener angeblichen 
Nesselrodischen Denkschrift genügten, um wieder die Welt von russopho- 
bischen Fabeln hervorzurufen. Alle politischen Halbwisser schworen darauf, 
daß die Gesandten des Zaren an jedem deutschen Hofe den Ton angäben; 
und Wurn sprach nur die vorherrschende Ansicht aus, als er sagte, der 
russische Einfluß sei in Deutschland überall mit Händen zu greifen. Also 
stritten sich Rußland und England um die Beherrschung unserer öffent- 
lichen Meinung, und beide Teile fanden ergebene Genossen. Doch nir- 
gends erhob sich eine deutsche Stimme, nirgends ein Mann, der dieser 
zerrissenen Nation unbarmherzig sagte, daß sie von dem Golde der Briten 
ebensowenig zu hoffen hatte, wie von den Lanzen der Kosaken, daß sie 
diese kindische Freemdbrüderlichkeit, dies würdelose Kannegießern über die 
Interessen des Auslandes endlich aufgeben und alle ihre Leidenschaft auf 
die eine hohe Idee richten müsse, die seit der Neujahrsnacht von 1834 
kein leerer Traum mehr war: auf die Idee ihrer Einheit. — 
  
Unterdessen begann sich in Preußens inneren Zuständen bereits jene 
Abspannung zu zeigen, welche am Ende einer langen Regierung fast immer 
eintritt. Wohl verdiente der festgeordnete alte Beamtenstaat nicht den 
galligen Tadel der Freunde Varnhagens, die ihn schon seit zwanzig 
Jahren beständig auf dem Wege von Jena nach Auerstädt zu sehen glaub- 
ten, und noch weniger die rohen Schmähreden der Demagogen. Seit dem 
Zollvereine nahm der Preußenhaß in den Kreisen des Radikalismus ge- 
waltig überhand. Wer für Deutschlands künftige Einheit schwärmte, hielt 
sich verpflichtet, die werdende Einheit, den lebendigen deutschen Staat zu 
beschimpfen; und niemand unter den Flüchtlingen verstand mit so gesin- 
nungstüchtiger Entrüstung, mit so hagebüchener Grobheit zu poltern, wie 
der Rheinländer Jakob Venedey, ein ehrlicher teutonischer Träumer von 
  
*) Als Verfasser dieser Denkschrift (Portfolio Nr. II.) bekannte sich der Pentarchist 
späterhin selbst in seinem Buche: Europas Kabinette und Allianzen, Leipzig 1862.
	        
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