Der Pentarchist. 541
land der wohlwollende Protektor der kleinen deutschen Staaten werden
müsse.“) Denselben Gedanken entwickelte auch „die Pentarchie“ in vor-
sichtigen Andeutungen. Schwerlich hat Zar Nikolaus selbst diesen Plänen
zugestimmt. Er wünschte wohl, wie alle Fürsten des Auslandes, den Fort-
bestand der deutschen Kleinstaaterei, damit die Schwäche Mitteleuropas
dauere, und jede Untertänigkeit unserer Kleinfürsten hieß er willkommen;
doch er war zu sehr Soldat, um auf diese waffenlosen Höfe viel Wert
zu legen. Sein Übermut trachtete nach Größerem, er hoffte zur rechten
Zeit die deutschen Großmächte selbst in den Kampf gegen die Revolution
zu führen.
Indessen die Andeutungen des Pentarchisten und jener angeblichen
Nesselrodischen Denkschrift genügten, um wieder die Welt von russopho-
bischen Fabeln hervorzurufen. Alle politischen Halbwisser schworen darauf,
daß die Gesandten des Zaren an jedem deutschen Hofe den Ton angäben;
und Wurn sprach nur die vorherrschende Ansicht aus, als er sagte, der
russische Einfluß sei in Deutschland überall mit Händen zu greifen. Also
stritten sich Rußland und England um die Beherrschung unserer öffent-
lichen Meinung, und beide Teile fanden ergebene Genossen. Doch nir-
gends erhob sich eine deutsche Stimme, nirgends ein Mann, der dieser
zerrissenen Nation unbarmherzig sagte, daß sie von dem Golde der Briten
ebensowenig zu hoffen hatte, wie von den Lanzen der Kosaken, daß sie
diese kindische Freemdbrüderlichkeit, dies würdelose Kannegießern über die
Interessen des Auslandes endlich aufgeben und alle ihre Leidenschaft auf
die eine hohe Idee richten müsse, die seit der Neujahrsnacht von 1834
kein leerer Traum mehr war: auf die Idee ihrer Einheit. —
Unterdessen begann sich in Preußens inneren Zuständen bereits jene
Abspannung zu zeigen, welche am Ende einer langen Regierung fast immer
eintritt. Wohl verdiente der festgeordnete alte Beamtenstaat nicht den
galligen Tadel der Freunde Varnhagens, die ihn schon seit zwanzig
Jahren beständig auf dem Wege von Jena nach Auerstädt zu sehen glaub-
ten, und noch weniger die rohen Schmähreden der Demagogen. Seit dem
Zollvereine nahm der Preußenhaß in den Kreisen des Radikalismus ge-
waltig überhand. Wer für Deutschlands künftige Einheit schwärmte, hielt
sich verpflichtet, die werdende Einheit, den lebendigen deutschen Staat zu
beschimpfen; und niemand unter den Flüchtlingen verstand mit so gesin-
nungstüchtiger Entrüstung, mit so hagebüchener Grobheit zu poltern, wie
der Rheinländer Jakob Venedey, ein ehrlicher teutonischer Träumer von
*) Als Verfasser dieser Denkschrift (Portfolio Nr. II.) bekannte sich der Pentarchist
späterhin selbst in seinem Buche: Europas Kabinette und Allianzen, Leipzig 1862.