Ministerium Guizot. 115
Die Stellung Guizots und seines Friedenskabinetts blieb gleichwohl
noch lange sehr peinlich. Seit Monaten befand sich das französische Volk
in einem krampfhaften Zustande kriegerischer Aufregung. Alles jauchzte,
da aus Algier die Nachricht kam von einem großen Siege, der bei Masa-
gran über die Horden Abdel-Kaders erfochten sein sollte; und als sich
die Siegesbotschaft bald nachher als eine plumpe Erfindung erwies, da
wagte keine einzige Pariser Zeitung die Lüge zu widerlegen, jeder Fran-
zose blieb fortan verpflichtet an die märchenhafte Heldentat zu glauben,
deren Ruhm in allen großen Städten Frankreichs durch die neuen Rues de
AIlasagran verewigt wurde. Also gestimmt konnte die Nation durch die wahr-
lich bescheidenen syrischen Siege der Verbündeten nur noch mehr erbittert
werden. Zumal die leichte Eroberung jenes Akkon, das einst einem Bona-
parte widerstanden hatte, erschien den Pariser Boulevardiers wie eine persön-
liche Beleidigung. Das Kriegsgeschrei hielt den ganzen Winter hindurch an
und ward für die Regierung immer kränkender. Die öffentliche Meinung
besänftigte sich auch nicht, als Ludwig Philipp die Asche Napoleons nach
Paris zurückführen ließ und in dem pomphaften Leichenzuge mit einem Male
die verschlissenen Uniformen der kaiserlichen Tage wieder auftauchten. Guizot
freilich sagte in seiner verblendeten Selbstgewißheit: es war ein bloßes
Schauspiel; Prinz Ludwig Napoleon aber, der im Schlosse zu Ham die
Strafe für seinen zweiten abenteuerlichen Aufstandsversuch abbüßte, ahnte
siegesfroh, daß die napoleonische Legende wieder Macht gewann über die
Herzen der Franzosen. Diesem stolzen Volke konnte die Vergleichung der
großen Vergangenheit mit der kleinen Gegenwart nur tief schmerzliche Ge-
fühle erregen. Indes die Unmöglichkeit, das verlorene Syrien dem Lieblinge
der Pariser zurückzugewinnen, lag klar am Tage, früher oder später mußte
sich Frankreich in die vollendeten Tatsachen finden.
Noch blieben auf der Londoner Konferenz große Schwierigkeiten zu
überwinden. Von dem Osterreicher Neumann unterstützt tat Bülow
sein Bestes, um den Knoten, den er selber mit geschürzt, wieder zu lösen.
Palmerston zögerte, weil er sich zu tief in den Streit verbissen hatte, und
der beständig durch Ponsonbys brutale Drohungen aufgestachelte Hoch-
mut der Pforte wollte sich lange zu keinem Zugeständnis an den ägyp-
tischen Rebellen bequemen.*) Am frühesten bekehrte sich Rußland zu den
versöhnlichen Anschauungen der beiden deutschen Höfe. Mit ganz unge-
wöhnlicher Freundlichkeit schrieb Nesselrode schon im Dezember nach Paris:
er vertraue „der mutigen Offenheit“ Guizots, keine der vier Mächte
wünsche Frankreich von dem allgemeinen Einverständnis auszuschließen)
Müde des ewigen Zauderns der englischen Regierung, erklärte Bülow
7) Bericht des k. k. Internuntius, 21. Dez. 1840. Werthers Weisung an Maltzan,
21. Jan. 1841.
*“) Nesselrodes Weisung an Pahlen, 25. Nov.
D1340.
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