Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

154 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
verkauft, da sie den König die Politik Flottwells beloben und doch selbst 
den genau entgegengesetzten Weg einschlagen sahen. — 
  
Inzwischen wurde das Ministerium nach und nach völlig neu ge— 
staltet. Im März 1841 erhielt Boyen, trotz seiner siebzig Jahre, die 
Leitung der Kriegsverwaltung, zum Schrecken der alten mecklenburgisch— 
welfischen Partei, die er noch vor wenigen Jahren durch eine freimütige 
Schrift über Scharnhorst abermals gekränkt hatte. Der König ward nicht 
müde, den alten Herrn für die Unbill vergangener Jahre durch eine fast 
kindliche Verehrung und durch sinnig gewählte Auszeichnungen zu ent— 
schädigen. Er gab ihm sofort, nach dem Dienstalter, die erste Stelle im 
Ministerium, schmückte ihn am Grabe Gneisenaus zu Sommerschenburg, 
als dort das Denkmal des Helden enthüllt wurde, mit dem schwarzen 
Adlerorden, ernannte ihn zum Chef des ersten Infanterie-Regiments, in 
dem der General einst seine Soldatenlaufbahn begonnen hatte, ließ 
zum Jubelfeste seiner sechzigjährigen Dienstzeit eine schöne Denkmünze 
schlagen. Boyen aber täuschte sich nicht über die Bedeutung dieser Gnaden— 
beweise. Aufgewachsen in den Ideen Kants, klar, bestimmt, verständig 
in allem, auch in seiner innigen Frömmigkeit, fühlte er klug heraus, wie 
wenig er Friedrich Wilhelms romantischen Träumen zu folgen vermochte, und 
hielt sich der großen Politik in der Regel fern; nur zuweilen, wenn er einen 
verhängnisvollen Mißgriff befürchtete, warnte er den König mit seiner 
kräftigen ostpreußischen Treuherzigkeit. Auch in seinem eigenen Ministe- 
rium machte er bald die Erfahrung, daß er vor fünfundzwanzig Jahren, 
trotz der vielbeklagten Unentschlossenheit des alten Königs und trotz der 
Feindseligkeit der Maulwürfe, wie er seine Gegner nannte, doch weit rascher 
vorwärts gekommen war als jetzt. Gleich zu Anfang hatte er, wie der König 
sagte, „ein Stückchen Schwerenot“ mit dem Chef des Militärkabinetts 
General Lindheim, und es gelang ihm den rechthaberischen Gegner zu 
verdrängen, indem er offen aussprach: ich habe das Amt nur angenommen, 
„Um dem König einen Beweis meiner treuen Anhänglichkeit zu geben; so- 
bald ich aber sehe, daß meine Wirksamkeit gelähmt wird, so hat die Stelle 
keinen Wert für mich.“) 
Freie Hand jedoch gewann er dadurch noch nicht, denn der König er- 
schwerte ihm, wie allen übrigen Ministern das planvolle Arbeiten durch 
plötzliche Vorschläge und Entwürfe, die er dann oft ebenso plötzlich wieder 
aufgab. „Es liegen“, sagte Thile, „im Geiste Sr. Maj. noch so viele Keime 
für die raschere Entwicklung unserer Staatsverhältnisse in mannigfacher 
Nichtung.“ Selbst die Formen des Geschäftsganges standen nicht mehr 
  
*) Boyen an Thile, 28. März; König Friedrich Wilhelm an Thile, 25. 29. März 1841.
	        
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