Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Friedrich Wilhelms Pläne. 9 
Konstitution; denn obwohl er allen politischen Theorien seine Verachtung 
auszusprechen liebte, so war er doch selbst ganz durchdrungen von einer 
unwandelbaren politischen Doktrin. Jener künstliche Gegensatz des revo- 
lutionären Repräsentativsystems und des legitimen Ständewesens, welchen 
Gentz einst in der Karlsbader Denkschrift vom Jahre 1819 geschildert 
hatte, erschien ihm als eine unumstößliche Wahrheit; wie die alte Natur- 
rechtslehre an ein abstraktes, über allen positiven Gesetzen erhabenes Ver- 
nunftrecht glaubte, so er an ein historisches Recht der Stände, das ohne 
Zutun der Staatsgewalt entstanden, auch von ihr nur anerkannt, nicht 
aufgehoben werden könne. Die Wahrheit, daß der rechtsbildende Gemeingeist 
der modernen Völker sich am stärksten in ihren Staatsgesetzen betätigt, ver- 
achtete er als eine Verirrung der hegelianischen Staatsvergötterer; von 
dieser „Staatsallmacht“ sollte seine christliche Monarchie sich allezeit fern 
halten. Hallers Staatslehre feierte jetzt, da ihr Urheber schon das siebzigste 
Jahr überschritten hatte, ihren höchsten Triumph, nur daß diesederbprosaische 
Machttheorie sich in der Seele Friedrich Wilhelms zu einem reichgeschmück- 
ten künstlerischen Bilde ausgestaltete: die Idee der Staatseinheit galt ihm 
gar nichts, genug wenn alle Stände und alle Landschaften seines weiten 
Reichs sich frei und farbenprächtig in ihrer historischen Eigenart entfalteten, 
auch die Wenden, auch die Litauer, die Kassuben, die Masuren sich un- 
gestört ihrer volkstümlichen Sprache und Sitte erfreuten. 
Alle Härten des alten Systems dachte er zu mildern; also Verzeihung 
für die Demagogen, auch für die Polen, die er als widerrechtlich Unter- 
drückte bemitleidete; Freiheit für die Presse, und vornehmlich für die Kirche. 
Den Groll der Katholiken über den Kölnischen Bischofsstreit hoffte er durch 
hochherzige Zugeständnisse zu versöhmnen. Die evangelische Landeskirche 
aber und die oberstbischöfliche Gewalt des Königtums betrachtete er kaum 
als zu Recht bestehend: wenn der Protestantismus nur erst alle ungläu- 
bigen Elemente ausgestoßen hätte, dann sollten sich die Gemeinden der 
Gläubigen aus eigener Kraft, ungestört von der Staatsgewalt, ihre Kirche 
neu erbauen, und also die unsichtbare Kirche sichtbar werden. Auch die 
knappe Sparsamkeit des alten Regiments betrachtete er längst mit Un- 
willen: um eine prächtige, geschmackvolle, des hohenzollerschen Namens 
würdige Hofhaltung hoffte er alles zu versammeln, was Deutschlands 
Kunst und Wissenschaft an großen Namen besaß. Schon als Kronprinz 
hatte er den Ausbau der Marienburg und des Kölner Doms gefördert, 
zu Castel auf der Felsplatte hoch über der Saar die Gruftkirche seiner 
lützelburgischen Ahnen, auf Stolzenfels das Rheinschloß der trierischen 
Kurfürsten stattlich hergestellt, auf Stahleck die Pfalzgrafenburg der 
Altvordern seiner Gemahlin wieder zugänglich gemacht; jetzt sollten über- 
all die halb zertrümmerten Bauten der deutschen Vorfahren prächtig auf- 
erstehen und zugleich den schöpferischen Talenten des jungen Künstler- 
geschlechts eine Fülle neuer Aufgaben gestellt werden. Jeder frischen Kraft
	        
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