Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Einspruch des Prinzen von Preußen. 273 
riet in heftigen Zorn, als er durch den getreuen Rauch zuerst von den 
Absichten des Schwagers erfuhr; er sah die Revolution schon dicht vor 
der Tür und sagte zu den Generalen, die zur Rekrutierung in die Pro— 
vinzen gingen: ich bedauere, meinem Volke so große Lasten auflegen zu 
müssen, aber die Vorgänge in meinem westlichen Nachbarlande zwingen 
mich, für alle Fälle mich bereit zu halten. In der Petersburger Gesellschaft 
brach der alte Deutschenhaß wieder durch; Nesselrode und die gesamte 
vornehme Welt jammerten über das preußische Demagogentum. Auch 
die Gesandten unserer kleinen Höfe beteuerten dem Kaiser nach ihrer 
bedientenhaften Gewohnheit: Preußen allein halte die deutsche Welt in 
Unruhe. Der Zar selbst konnte seinen Grimm so wenig bemeistern, 
daß er selbst auf der Reise dem preußischen Grenzpostmeister Nernst in 
Tilsit seinen nachbarlichen Kummer über die preußischen Neuerungen aus— 
sprach; zur Rede gestellt, mußte er nachher seine Außerungen verlegen 
ableugnen.) 
Alle diese Mahnungen von außen her ließen den König kalt. Auf das 
tiefste aber fühlte er sich gekränkt, als der Thronfolger, den man jetzt erst, 
im Dezember, über das Geschehene unterrichtet hatte, in einem eingehenden 
Schreiben sein Bedenken freimütig vortrug und zugleich daran erinnerte, 
daß, nach dem Testamente des Vaters, die Agnaten befragt werden müßten 
(Jan. 1845). Das hielt der König für eine Verletzung der Ehrfurcht. 
Sichtlich erregt erteilte er dem Prinzen einen scharfen, völlig unverdienten 
Verweis und erwiderte: er werde seine Pläne weiter ausarbeiten lassen, 
den Agnaten stehe ein Recht des Einspruchs nicht zu.*) Er fürchtete so- 
gar — ganz ohne Grund, wie sich bald zeigte — der Thronfolger würde 
eine förmliche Verwahrung einlegen, und ließ sich von Savigny darüber 
Bericht erstatten, auch von zwei namhaften Rechtslehrern (vermutlich von 
Heffter und dem Rechtshistoriker Eichhorn) Gutachten einfordern. Da 
jenes Testament nie vollzogen worden war, so stimmte der Bericht des 
Ministers mit den beiden Gutachten dahin überein, daß ein Protest der 
Agnaten gegen die ständische Gesetzgebung keinen rechtlichen Boden hätte. 
Dies wurde dem Prinzen von Preußen mitgeteilt, und seitdem blieb er 
von den Verfassungsberatungen lange ganz ausgeschlossen. 
Unterdessen fühlte auch Graf Arnim immer lebhafter, daß er dem 
Könige nicht mehr folgen konnte. Er hatte nach dem Plane des Mon- 
archen einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, wagte aber zugleich noch ein- 
mal seine eigenen Gedanken vorzulegen. Da die Berufung des Vereinigten 
Landtags nunmehr sicher war, so riet Arnim jetzt, sogleich ein klares 
Zweikammersystem einzuführen, den erhaltenden wie den bewegenden Ele- 
menten des Staatslebens ihr eigenes Organ zu schaffen; denn unver- 
*) Liebermanns Berichte, 4. Febr., 14. 18. März; Rochow, an Canitz, Petersburg 
19. 24. Aug. 1845. 
*“) In den Akten liegt nur ein undatierter Entwurf dieses Antwortschreibens. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 18 
 
	        
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