Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

390 V. 5. Realismus in Kunst und Wissenschaft. 
Unsere Dichter und Übersetzer waren in ihrem weltbürgerlichen Drange so 
weit auf der Erde umhergefahren, daß sie den Schauspielern fast unmögliche 
Aufgaben stellten und ein nationaler Bühnenstil sich niemals bilden konnte. 
Uns fehlte die Hauptstadt, uns fehlten die allen gemeinsamen nationalen 
Gefühle; uns fehlte selbst die lebendige historische Erinnerung, denn den 
alten Fritz oder die Helden des Befreiungskriegs kannte man in Bayern 
fast ebenso wenig wie in Pommern die Kaiser unseres Mittelalters. 
Laubes gesunde, derbe, praktische Natur hatte die jungdeutsche Ziererei, 
die ihm nur von außen her angeflogen war, bald wieder abgeschüttelt. Er 
lebte sich mit gewissenhaftem Fleiße in die Theaterwelt ein, was seit langen 
Jahren außer Immermann kein ernster Dichter mehr für nötig gehalten 
hatte, und verkehrte freundschaftlich mit Schauspielern, denen er dankbar 
seine Stücke zu widmen pflegte. Ihm entging nicht, daß die Hörer wie die 
Schauspieler fast nur noch dem bürgerlichen Drama willige Empfänglich- 
keit entgegenbrachten; durch gemeinverständliche, jedem naheliegende Stoffe, 
grobe Züge, einfache Exposition hoffte er den verwilderten Geschmack des 
Publikums wieder an den Genuß dramatischer Kunstwerke zu gewöhnen. 
Seine Dramen waren mehr gemacht als gedichtet, da ihm der hohe poe- 
tische Schwung versagt blieb, aber wohl gebaut, lebendig, von einer kecken 
Frische, die den fröhlichen Weidmann verriet; ihr Gehalt niemals tief- 
sinnig, doch bedeutsam genug für gebildete Hörer. Die beiden beliebtesten, 
Gottsched und Gellert und die Karlsschüler, verdankten ihren Erfolg freilich 
einem ästhetischen Fehler, den erst ein späteres, tatenfrohes Geschlecht 
ganz durchschauen sollte. Der Dichter suchte nach volkstümlichen histo- 
rischen Stoffen, er pries sich glücklich, in Schiller einen Mann zu finden, 
den die Deutschen allesamt besser kannten als irgend einen politischen 
Helden, und übersah nur, daß die rein geistige Größe sich nicht in dra- 
matischer Handlung ausgestalten läßt. So entstand ihm ein Literatur- 
drama, eine Zwitterform, die den Stimmungen dieser Übergangszeit ent- 
sprach, aber minder berechtigt war als vormals die ganz von der Bühne 
absehenden dramatischen Satiren Platens. Die Literaturgeschichte diente 
hier der Bühnenkunst nur als Krücke, als ein unkünstlerisches Mittel für 
wohlfeile Effekte; der junge Schiller, der sich aus dem Zwange der 
Karlsschule losriß, entzückte die Hörer nicht durch die Macht der drama- 
tischen Tat, sondern weil sie von der Schulbank her wußten, daß dieser 
Jüngling dereinst noch den Wallenstein und den Tell schreiben würde. 
Mehr Geist und mehr Unruhe brachte Gutzkow dem Theater. Auch 
er war den Verirrungen seiner Jugend längst entwachsen und, scharf beob- 
achtend, auf der Bühne ganz heimisch geworden; er hegte den Ehrgeiz, 
daß seine Dramen zugleich als Waffen dienen sollten für den Kampf der 
Aufklärung gegen die Lüge, während Laube die Tendenz nur gelegentlich 
als ein Zugmittel benutzte. Und doch gerieten ihm gerade die Dramen 
am glücklichsten, in denen die Tendenz ganz zurücktrat; seinem skeptischen
	        
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