Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

404 V. 5. Realismus in Kunst und Wissenschaft. 
des starken, mannhaften Realismus trat plötzlich Adolf Menzel auf, ein 
Schlesier, der schon seit seinen Jugendtagen, von wenigen gewürdigt, in 
Berlin einen harten Lebenskampf bestanden hatte. Italien kannte er nicht, 
und von den lebenden deutschen Meistern hatte keiner tief auf ihn einge- 
wirkt, nicht einmal der preußische Soldatenmaler Franz Krüger. Ganz 
selbständig schritt er seines Wegs, scharf um sich schauend in die wirkliche 
Welt, und sagte „den Schönheitsschwärmern“ ruhig: „Man muß gar nichts 
verlangen, dann wird man in allerwege überrascht.“ 
Als im Jahre 1839 die Geschichte Friedrichs des Großen von dem 
Kunsthistoriker Franz Kugler mit Menzels Zeichnungen erschien, da mochte 
die deutsche Wissenschaft wohl beschämt die Augen niederschlagen. Seit dem 
alten Archenholtz hatte sich kein namhafter Historiker mehr an den reichen 
Stoff herangewagt. Kugler selbst bot im Text nur eine muntere, wenig 
durchgeistigte Erzählung. Wie unwiderstehlich hingegen sprach aus diesen 
Holzschnitten das innerste Wesen einer großen Zeit. Schlachten und Hof- 
feste, Heldenzorn und Heldennot, Zerstörung und Siegesfreude, die ganze 
gewaltige Entwicklung des Königs selbst von den stürmischen Jugendtagen 
an bis zu der Zeit, da er beim Ende des sechsten Kriegsjahres noch am 
Rande des Abgrunds als kühner Fechter stand und wieder bis zu den 
letzten finsteren Jahren der einsamen Größe — das alles erschien hier 
in so überwältigender Wahrheit, daß Alexis'’ patriotische Romane daneben 
doch ganz verschwanden. Mit einem Male war das Werk da, und jeder 
treue Preuße, der sich darein versenkte, fragte unwillkürlich: warum ist es 
nicht immer da gewesen? Kein anderes Volk besaß ein solches nationales 
Erinnerungsbuch, das in seiner bescheidenen Gestalt in jedermanns Hände 
gelangen konnte und doch an tiefem historischem Gehalt so reich war 
wie die großen Doelen= und Regentenstücke der alten Niederländer. Und 
welch ein ungeheurer Fleiß verbarg sich hinter diesen kleinen Blättern. In 
sorgsamen Studien war der Abstand der Uniformknöpfe wie die Länge des 
Metallbeschlags an den Offiziersstöcken bis auf den Zoll vorher ausge- 
messen, und nachher erschien das peinlich Erforschte doch in voller künst- 
lerischer Lebendigkeit. Der Künstler wußte, daß alle wahrhaftige Geschichte 
grelle Farben trägt; er ließ sich's nicht verdrießen, selbst den Regiments- 
profoßen durch sein hartes Tagewerk hindurch zu verfolgen, und bildete ihn 
ab, wie er die Spießruten schneidet für die Strafen des nächsten Morgens. 
Vier Jahre nachher wurde die akademische Prachtausgabe der Werke 
Friedrichs vorbereitet; da verstand es sich schon von selbst, daß nur 
Menzel den Auftrag zur Ausführung der zweihundert Vignetten erhalten 
konnte. Dem Monarchen aber war offenbar nicht recht geheuer bei dem 
Realismus und der kriegerischen Kraft dieser friderizianischen Bilder; er 
besprach sich niemals mit dem Künstler, ließ sich niemals einen Entwurf 
vorlegen, obgleich er doch sonst so gern in der Kunst dilettierte. Während 
der sechsjährigen Arbeit erhielt Menzel vom Hofe nur die einzige Weisung,
	        
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