670 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
ungebärdig gegen den preußischen Nachbarn. Ich empfange keinen katho—
lischen Diplomaten aus Preußen — so sagte er trotzig, als ihm die Er-
nennung des Grafen Westphalen zum preußischen Gesandten angekündigt
wurde. Der eingefleischte Papistenhaß des alten Orangemannes mochte
dabei wohl mitwirken; entscheidend blieb doch, daß Westphalen der Schwie-
gersohn des verabscheuten Canitz war. Da König Friedrich Wilhelm nach
preußischer Überlieferung sich diese grundsätzliche Verschmähung eines
Katholiken nicht bieten lassen durfte, so mußte der Gesandtschaftsposten in
Hannover längere Zeit unbesetzt bleiben.') Noch hochmütiger verfuhr
Ernst August gegen die kleinen Nachbarfürsten. Wie tobte er, als der
Kabinettsrat des Großherzogs von Oldenburg Starklof in einem Romane
den Gedanken ausgeführt hatte: ein blinder Bauernsohn dürfe nirgends
den väterlichen Hof erben, noch viel weniger also ein blinder Königssohn
die Krone. Er ließ nicht ab, bis Starklof entlassen war.
Dieser Roman verletzte ihn in seinen teuersten Gefühlen; denn das
blieb sein besonderer Stolz, daß er, gegen die Gesetze der Natur, gegen
das Reichsrecht, gegen den alten Hausbrauch der Welfen selbst, seinem
Sohne die Krone gesichert hatte. So oft er verreiste, übertrug er dem
Blinden die Regierungsgeschäfte; die Welt sollte wissen, im Welfenlande
sei auch das Unmögliche möglich. Der Kronprinz zeigte sich jetzt schon
als würdiger Abkomme der Stuarts, er sprach mit unheimlicher Selbst-
überhebung von dem Lehen Gottes, das ihm dereinst zufallen würde, von
der ewigen Dauer des Welfenreichs. Mit derselben lästerlichen Zuver-
sicht, nur ohne Salbung redete der Vater. Im April 1847 wagten ihn
seine getreuen Stände um Offentlichkeit der Landtagsverhandlungen an-
zugehen; sogar die erste Kammer hatte beinahe einstimmig beigepflichtet,
so weit war der Wind schon umgeschlagen. Da erschien am 21. April
eine von Falcke gegengezeichnete königliche Antwort. Der alte Minister
Scheele war mittlerweile gestorben, aber der allen welfischen Schriftstücken
eigentümliche brutale Ton hatte sich nicht verändert. Mit einem Schwall
ungnädiger Worte hielt der König seinen Ständen vor: die Offentlichkeit
des Landtags würde nur unerreichbare Wünsche erwecken, eine erkünstelte
öffentliche Meinung bilden, die Massen aufregen und verblenden. Dann
schloß er: „Wir haben demnach unabänderlich beschlossen, eine Offent-
lichkeit der Sitzungen der Kammern niemals zu gestatten.“ So sprach
der Welfe sein Niemals — wenige Tage, nachdem König Friedrich Wil-
helm dem Vereinigten Landtage sein Nie und nimmermehr! zugerufen
hatte. Nur ein Jahr, und der Oheim wie der Neffe sollte erfahren, daß
auch Könige dem lebendigen Gott seine Wege nicht vorschreiben können.
Selbst das stille Mecklenburg blieb von der liberalen Zeitströmung
nicht mehr unberührt. Die bürgerlichen Grundherren verlangten, mit
*) Knyphausens Bericht, 7. Okt. 1847.