XXXI. Das Märchen vom Flüchtling Heine. 765
— den preußischen Staat wegen grausamer Verfolgung des Poeten. Die einfache Wahr-
heit ist: nicht Heine hat sich über Preußen zu beklagen, das ihn persönlich nie verfolgte,
sondern Preußen hat sich über Heine zu beklagen, der sein Vaterland unablässig mit Kot
bewarf.
Heine war ein freiwilliger Flüchtling, ganz so wie die polnischen Dichter Mickie-
wicz, Krasinski, Stowaski und noch viele andere Revolutionäre aus Deutschland, Polen,
Italien, die sich jahrelang gänzlich unverfolgt in Paris aufhielten. Einige von ihnen
lebten in Frankreich aus Furcht vor möglicher Verfolgung, andere, um unter franzö-
sischem Schutze ihre Verschwörungspläne sicherer zu betreiben, andere wieder, um die
Reize der Weltstadt zu genießen; sie alle spielten mit hochtragischem Pathos die Rolle
politischer Dulder, und an diesem frivolen Sport der radikalen Partei beteiligte sich auch
Heine. Die einzige Unbill, die ihm von seiten der preußischen Behörden je widerfuhr,
war das törrichte Verbot seiner Schriften. Dies Schicksal teilte er mit vielen anderen
Schriftstellern, und er konnte es, wie er selbst erzählt, sehr leicht nehmen, da der Absatz
seiner Werke durch das Verbot eher gefördert, als erschwert wurde. Für seine persön-
liche Sicherheit hatte er nichts zu besorgen, noch weniger sogar als A. Ruge, der trotz
seiner Kämpfe mit der Preßpolizei doch in seinem Hause unangefochten blieb. Die Re-
gierung beurteilte Heine richtig; sie fürchtete nur seine Feder, als Demagog schien er
ungefährlich.
Daß er niemals polizeilich verfolgt wurde, läßt sich jetzt auch durch ein amtliches
Zeugnis erweisen. Als der französische Gesandte Graf Bresson in Guizots Auftrag bei
dem Berliner Hofe vertraulich anfragte, was die Folge sein würde, wenn Heine sich in
Frankreich naturalisieren ließe, da erkundigte sich das Auswärtige Amt zunächst beim
Ministerium des Innern und erwiderte dann (17. Febr. 1843) in trockenem, gering-
schätzigem Tone: Von Amts wegen wisse man gar nicht, ob Heine noch preußischer Unter-
tan sei; aucune mesure de police n’a été prise contre sa personne. Wolle er Franzose
werden, so habe die preußische Regierung nichts dawider und würde ihm dann die Rechte
eines Franzosen einräumen. Darauf erörtert das Schreiben noch das Verbot der
Heinischen Werke und kommt zu dem Schlusse: Da Heine im Auslande lebe und selber
keinen Schritt getan habe, um eine Milderung zu erlangen, so könnten die bestehenden
Anordnungen nur im Gnadenwege geändert werden, et ll wexsste pour les auto-
ritcs du Roi aucun motif de faire Toffice des démarches dans ce büt. Bei-
läufig scheint das Ministerium nicht gewußt zu haben, daß Heines Schriften fast sämt-
lich dem Verlage von Hoffmann und Campe angehörten; dieser Verlag war aber schon
nach dem Hamburger Brande durch königlichen Gnadenerlaß wieder freigegeben worden
(s. o. V. 181).
Wie bisher, so blieb Heine auch ganz unbehelligt von den preußischen Behörden,
als er i. J. 1844 sein Vaterland wieder besuchte. Nachher änderte sich die Lage etwas,
als seine „Zeitgedichte“ erschienen, deren unflätige Majestätsbeleidigungen in einem
monarchischen Staate unmöglich straflos bleiben konnten. Obgleich auch jetzt keine Ver-
folgung eingeleitet wurde, so mußte Heine doch nunmehr befürchten, beim Betreten des
preußischen Bodens unter schwerer Anklage vor Gericht gestellt zu werden. Er fühlte
das selbst, und da er im Jahre 1846 nach Berlin reisen wollte, um Freunde wiederzu-
sehen und Dieffenbach zu konsultieren, so erbat er sich Humboldts Verwendung, damit
der Monarch die Vergangenheit in der alten Registratur begrübe. Diese Vergangenheit
war freilich allerjüngste Gegenwart. Der so roh beleidigte König zeigte sich nicht ab-
geneigt, das Buch der Lieder ließ ihn alles vergessen. Die Polizeibehörde aber erklärte
nach ihrer Amtspflicht, es stehe nicht in ihrer Macht, die Straflosigkeit schwerer Maje-
stätsbeleidigungen im voraus zuzusichern. Der König allein konnte die Sache nieder-
schlagen; doch bevor noch eine Entscheidung erfolgte, hatte Heine schon aus anderen
Gründen seine Pläne geändert und die Berliner Reise aufgegeben. Auch damals also
geschah ihm von Preußen her kein Leid, und dabei blieb es bis zu seinem Tode. Die