Full text: Friedrich der Vorläufige, die Zietz und die Anderen.

sitzung. Der Geplagte hört täglich 14 bis 16 Stunden 
andere oder sich selber reden. Und was für ein Zeug 
manchmal! Zum Studieren kommt er gar nicht. Nnur eine 
von den Fraktionen für ihre Mitglieder scharf durchgeführte 
Arbeitsteilung ermöglicht überhaupt die Fortführung der 
Geschäfte. So kommt es, daß einer über Kalipreise Bescheid 
weiß, ein anderer über die Zigarettenbanderole, ein dritter 
über Moorkultur, auch wenn er beruflich diesen Dingen 
ganz fernsteht. Aber einen Uberblick hat niemand. Zeder 
gewöhnliche Zeitungsleser weiß von Tagespolitik mehr als 
der Abgeordnete; denn der liest nichts. So wird er von 
jeder „Enthüflung“ zunächst glatt erschlagen. Hat er ein 
Leben voll reicher Erfahrung hinter sich, so mag er daraus 
schöpfen, — solange noch etwas da ist. Auch das gebt einmal 
zu Ende. Im Laufe von fünf Zahren aber vertrottelt auch 
der Klügste rettungslos, wenn er das Parlament nicht eifrig 
— schwänzt. Z 
Nun werden aber nicht einmal immer die Klügsten gewählt. 
Manchmal die Gerissensten. Oft aber auch nur die Maul- 
aufreißer. Und zuweilen gar nur irgendwelche lokalen Partei- 
honoratioren ohne jede hervorstechende Eigenschaft. 
Man schämt sich, wenn man versucht, sich die Elite der 
Nation so vorzustellen, wie sie da sitzt. Es ist nicht die Elite. 
Es ist, allerdings mit einigen glänzenden Auenahmen, eine 
Herde der Mittelmäßigen, über der die Peitsche des Partei- 
treibers knallt. Wenn man jetzt wieder die Sitzungen in 
Weimar, von der ersten bis zur letzten, Revue passieren läßt, 
so fröstelt es einen; wie ist es nur möglich, daß das Volk 
der Dichter und Oenker sich die heutige parlamentarische 
Regierung mit ihrer Plattheit und Feigheit und ihrem leicht- 
fertigen Verwirtschaften aller nationalen Güter gefallen läßt! 
UÜber dem Reichstagsgebäude in Berlin, in das die National- 
versammlung jetzt einzieht, steht die Inschrift: „Dem deutschen 
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