sitzung. Der Geplagte hört täglich 14 bis 16 Stunden
andere oder sich selber reden. Und was für ein Zeug
manchmal! Zum Studieren kommt er gar nicht. Nnur eine
von den Fraktionen für ihre Mitglieder scharf durchgeführte
Arbeitsteilung ermöglicht überhaupt die Fortführung der
Geschäfte. So kommt es, daß einer über Kalipreise Bescheid
weiß, ein anderer über die Zigarettenbanderole, ein dritter
über Moorkultur, auch wenn er beruflich diesen Dingen
ganz fernsteht. Aber einen Uberblick hat niemand. Zeder
gewöhnliche Zeitungsleser weiß von Tagespolitik mehr als
der Abgeordnete; denn der liest nichts. So wird er von
jeder „Enthüflung“ zunächst glatt erschlagen. Hat er ein
Leben voll reicher Erfahrung hinter sich, so mag er daraus
schöpfen, — solange noch etwas da ist. Auch das gebt einmal
zu Ende. Im Laufe von fünf Zahren aber vertrottelt auch
der Klügste rettungslos, wenn er das Parlament nicht eifrig
— schwänzt. Z
Nun werden aber nicht einmal immer die Klügsten gewählt.
Manchmal die Gerissensten. Oft aber auch nur die Maul-
aufreißer. Und zuweilen gar nur irgendwelche lokalen Partei-
honoratioren ohne jede hervorstechende Eigenschaft.
Man schämt sich, wenn man versucht, sich die Elite der
Nation so vorzustellen, wie sie da sitzt. Es ist nicht die Elite.
Es ist, allerdings mit einigen glänzenden Auenahmen, eine
Herde der Mittelmäßigen, über der die Peitsche des Partei-
treibers knallt. Wenn man jetzt wieder die Sitzungen in
Weimar, von der ersten bis zur letzten, Revue passieren läßt,
so fröstelt es einen; wie ist es nur möglich, daß das Volk
der Dichter und Oenker sich die heutige parlamentarische
Regierung mit ihrer Plattheit und Feigheit und ihrem leicht-
fertigen Verwirtschaften aller nationalen Güter gefallen läßt!
UÜber dem Reichstagsgebäude in Berlin, in das die National-
versammlung jetzt einzieht, steht die Inschrift: „Dem deutschen
11