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gehen auf die Form der Ausübung der Reichsmitgliedschaftsrechte
im Interregnum mag hier unterbleiben.
3. Es entsteht ferner die Frage, ob dem Reiche eine Einwirkung
auf den Verlauf des Interregnums im Gliedstaate, insbesondere auf
die Organisation der provisorischen Regierung und auf die Beendigung
des Interregnums zukommt, sei es dass die Berufung eines neuen
Gewaltenträgers oder andere Thatsachen dieses Ende herbeiführen.
Vom Standpunkte des geltenden Rechtes aus muss auch diese Frage
im Allgemeinen verneint werden. Denn beides, die Regelung der
provisorischen Staatsleitung wie die Entscheidung der Thronfrage,
ist lediglich Verfassungssache des Gliedstaates und als solche der
Kompetenz des Reiches entrückt. Wie das Reich dulden müsste, dass
sich eines seiner Glieder auf legalem Wege in eine Republik ver-
wandelt, so muss es auch der Entwickelung der Krisis des Inter-
regnums im Einzelstaate thatenlos zusehen. Ein Eingreifen in dessen
Verfassungsfrage könnte nur im Wege der Reichsgesetzgebung durch
eine Verfassungsänderung geschehen. Das politisch Bedenkliche dieser
Gebundenheit des Reiches wird jedoch durch die wesentlichen Ein-
schränkungen gemildert, welche sie für einzelne Formen erleiden
muss, in denen die Krisis des Interregnums verlaufen kann. Das
Reich ist nämlich zunächst nur dann unberechtigt, in den Gang der
Entwickelung des Interregnums einzugreifen, wenn die Organisation
und Thätigkeit der provisorischen Regierung und die Beendigung
des Interregnums vor sich geht, ohne dass sie zu Verfassungs-
streitigkeiten innerhalb des Gliedstaates Veranlassung giebt.
Sollten jedoch solche hervorgerufen werden, so wäre allerdings das
Reich nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, durch das Organ
des Bundesraths einen gütlichen Ausgleich zu versuchen und, falls
dies nicht gelänge, die Wirren im Wege der Reichgesetzgebung zu
lösen, vorausgesetzt, dass das Reich von einer der streitenden Par-
teien angerufen würde, und dass es im Gliedstaate an einer zur Ent-
besondere bei der Instruktion der Bundesrathsbevollmächtisten in erster Linie
die Reichsinteressen zu berücksichtigen habe, so ist das an sich richtig; es ist
aber ebenso wahr, dass das Ministerium auch die Interessen des Gliedstaates nicht
ausser Acht zu lassen habe. Denn das Reich ist nicht nur um seiner selbst
willen, sondern auch um der Glieder willen da. Wenn es ferner richtig ist, dass
die Ausübung der Reichsmitgliedschaft Ausübung der Einzelstaatsgewalt ist, so
ist die Regierung des Einzelstaates der Volksrepräsentation für den diesbezüglichen
Kreis ihrer Thätigkeit ebenso verantwortlich wie für alle Akte der Staatsgewalt-
ausübung. In wessen Interesse diese Gewalt geübt wird, muss in dieser Hinsicht
ohne Belang sein.