Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

144 Wilhelm van Calker, Die staatlichen Herrschaftsformen. 
  
ihm hierfür obliegende Verantwortlichkeit übernimmt.) — Auf die Tätigkeit der übrigen 
Staatsbehörden ist der Monarch in allen denjenigen Fällen angewiesen, für welehe gesetz- 
mässige Zustä und geordnete Verfahrensvorschriften bestehen. Hierher 
gehören namentlich alle Angelegenheiten der Rechtsprechung,®) sowie — was vielfach nicht 
genügend betont wird — beinahe sämtliche Angelegenheiten der Verwaltung, und selbst- 
verständlich alle, dem I,andesherrn nicht ausdrücklich zugewiesenen Angelegenheiten der 
Rechtssetzung. 
Das natürliche Korrelat der originären, nur in einzelnen bestimmten Richtungen ein- 
geschränkten Machtstellung des Landesherrn ist die Beschränkung der Volksvertretung auf 
die ihr speziell übertragenen Zuständigkeiten. Die Vermutung der Zuständigkeit spricht im 
Zweifelsfall für den Monarchen und gegen das Parlament. ») Die juristische Formulierung 
dieses Grundsatzes kommt besonders in der Mehrzahl der süddeutschen Verfassungen zum 
präzisen Ausdruck; so z.B. in der hessischen Verf., Art. 66, welche bestimmt: „Die Stände 
sind nur befugt, sich mit denjenigen Gegenständen zu beschäftigen, welche die nachfolgenden 
Artikel zu ihrem Wirkungskreis verweisen.“ Andere Verfassungen, wie die württembergische 
($ 124), die Kgl. sächsische (8 84 ff.) und die preussische (Art. 62 ff.) begnügen sich damit, 
dieses Prinzip durch kasuistische Aufzühlung aller Einzelzuständigkeiten der Volksvertretung 
zur Geltung zu bringen. ‚ Dabei ist aber noch besonders auf die Tatsache hinzuweisen, dass 
in den meisten ti Ilen Staaten die Parlamente ihre Tätigkeit grundsätzlich 
nur mit Genehmigung en Monarchen beginnen dürfen und dass sie niemals in der Art 
selbständig handelnder Staatsorgane irgendwelche die Staatsbewohner oder die Staatsbehörden 
verpflichtenden Beschlüsse fassen können. Sie sind, soweit auch ihre Zuständigkeiten gehen 
mögen, in bezug auf Beginn, Fortführung und Beendigung ihrer Funktionen von dem nur 
durch die Verfassung gebundenen Willen des Herrschers beschränkt. — Die wesentlichste 
Kompetenz unserer deutschen Parlamente ist, wie schon erwähnt, ihre bestimmende Mit- 
wirkung bei dem Zustandekommen von Gesetzen. Wenn auch der Satz feststeht, dass nur 
der Monarch es ist, der den Gesetzesbefehl erteilt, so haben doch die deutschen Volksver- 
tretungen regelmässig (wenngleich nicht von Anbeginn an) ebenso wie der Landesherr das 
Recht der Gesetzesinitiative und von jeher das Recht der Mitwirkung bei der Feststellung 
des Gesetzesinhaltes, und sie können, ebenso wie er, jeden Gesetzentwurf durch ihr Veto zu 
Fall bringen. Auf dem Gebiete der Verwaltung sind es namentlich die budgetrechtlichen 
Befugnisse der Parlamente, welche diesen einen ausserordentlich starken Einfluss auf die 
Krone geben. Von besonderer Bedeutung sind jene Befugnisse in denjenigen Staaten, welche 
— wie z. B. Preussen — ihr Budgetrecht nach dem Muster des französisch-belgischen, auf 
dem Boden der Volkssouveränität entstandenen Etatsrecht gestalteten und dadurch den Boden 
des monarchischen Prinzips unbewusst verliessen, während die übrigen Staaten — so be- 
sonders die süddeutschen — auf der Grundlage des altständischen Steuerbewilligungsrechts 
weiterbauten.”') Zu diesen Kompetenzen kommt noch die den deutschen Parlamenten überall 
zustehende Kontrolle der Staatsverwaltung. Sie äussert sich namentlich in der Befugnis zur 
«) Ob einMinister die Verantwortlichkeit übernehmen will oder nicht, ist Sache seiner freien Entschliessung. 
Der Befehl der Krone vermag ihn, wenn er die Verantwortung übernommen hat, gegenüber dem Parlamente nicht 
zu entlasten. A. M. Bornhak, S. 42; vgl. dagegen Hintze, S. 404f. S. auch die in Aum. 41 ange- 
gebene Literatur. 
“) Obwohl der Landesherr nicht mehr das Recht hat, in eigener Person zu richten, ist die richterliche Tätig- 
keit dem Willen des Monarchen doch nicht gänzlich entrückt. (A. M. Jellinek S. 661.) Wenn er auch nicht mehr be- 
fehlen kann „it a jusesto“', so ist er es doch, der den Befehl gibt „‚jus esto“, der die Richter einsetzt und zur Aus- 
übung ihrer richterlichen Funktionen anhält, und in dessen Namen geurteilt wird. 
0) So die Schriftsteller der verschiedensten Richtungen, z. B. Jellinek S. 688 (705); Seydel, 
Bayr. Stastsreoht, Neubearbeitung von Grassmann-Piloty, B.]I, bearb. v. Piloty, S. 217. 
”) Vgl. hierzuu.o.vanCalker, Bndisches Budgetrecht I, 1901 S. 4; Buohenberger, Finanz- 
politik und Staotshaushalt im Grossherzogtum Baden, 1902, S. 6ff.,, van Calker, hess. Verfassungegesetze, 
1906, S. 76 ff.
	        
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