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straße des Ortes müssen die Häuser der Griechen
und der arabischen Händler die eleganten Juwelier-
läden der „Kolonnaden“ unserer Badeorte ersetzen.
Der Ort ist ganz auf Lava aufgebaut; die
an der Sonne getrockneten Luftziegel sind aus
Lehm und Asche fabriziert. Die Grundmauern
der neu gebauten Häuser bestehen aus Lava-
blöcken, ja man sieht sogar solche, deren Wände
vollständig aus jungvulkanischem Gestein hergestellt
werden.
Das Erstaunlichste an Kissenyi ist wohl seine
Entwicklung. Als vor einem Jahre diese Militär-
station angelegt wurde, bestand der Ort aus
wenigen alten Negerhütten. Um die neu anzu-
legenden Wege zu trassieren, mußte man sich mit
der Axt in der Hand einen Weg durch das dichte
Buschwerk schlagen. Und jetzt, nach Jahresfrist,
bietet sich dem erstaunten Auge ein täglich
wachsender, blühender Handelsort mit fast 800
Seelen.
Das Klima ist vortrefflich; die frische Brise
des Sees sorgt für die nötige Kühle; keine
menschenquälenden Moskitos rauben dem Euro-
päer den Schlaf. Kissenyi dürfte ein schlagender
Beweis für die Entwicklungsfähigkeit unseres
deutschen Schutzgebietes, auch hier oben, sein.
17. Oktober.
Der Expedition war in Kissenyi eine nur
verhältnismäßig kurze Ruhe gegönnt. Am
30. August trafen Dr. Schubotz und Mildbread
und am 3. September Oberleutnant Weiß mit
Dr. Kirschstein ein. Die erstgenannten Herren
hatten sich beim Sultan Msinga von der Haupt-
karawane getrennt, um dem von der Hauptstadt
dieses Sultans südöstlich gelegenen Rugege-Wald
einen Besuch abzustatten. Die beiden letzteren
hatten, wie gleichfalls schon erwähnt, eine genaue
Topographie der sogenannten „weißen Flecke“, jener
noch völlig unbekannten Buschsteppen südlich von
Mpororo, vollendet. Über den goeologischen
Charakter dieses Gebietes sagt Dr. Kirschstein
unter andrem folgendes: „Der Charakter der
außerordentlich zerrissenen Gebirgslandschaft er-
innert sehr an den von Karagwe. Hier wie
dort läßt sich ein annähernd nordsüdliches
Streichen der Häupttäler und der Gebirgsrücken
beobachten, und auch in stratigraphischer Hinsicht
herrschen die gleichen Verhältnisse vor. Im
wesentlichen sind es versteinerungsleere, rötliche
bis blaugraue Tonschiefer, sowie archäische
Glimmerschiefer und Gneiße, aus denen sich die
Gebirge aufbauen. Unsere Arbeiten wurden sehr
erschwert durch die teilweise unbotmäßige Be-
völkerung dieses Gebietes, deren kriegerischer
Sinn dank der reichen Pombe-Ernte einen be-
denklichen Grad erreicht hatte."
Zum ersten Male seit Bukoba waren die
Mitglieder der Expedition bis auf Dr. Czekanowski,
der seine beim Mfinga und in Kissakka gesammelten
Erfahrungen durch weitere Studien in Ruasa er-
gänzte, wieder vollzählig versammelt. So galt
es nun, das gesammelte Material hier aufzu-
arbeiten, zu etikettieren, zu ergänzen und in
Kisten zu verpacken, denn wieder sollte eine
größere Karawane zum Versand über Bukoba
nach Europa abgeschickt werden. Tagebücher
wurden vervollständigt, Briefe und Berichte ge-
schrieben, kurzum, die erhoffte Ruhe verwandelte
sich in angestrengte Tätigkeit.
Nun wurde der folgende Arbeitsplan ent-
worfen: Oberleutnant Weiß wurde damit be-
traut, zunächst eine genaue Topographie von der
Nordspitze des Kiw#-Sees bis Niragongo und
Kissenyi vorzunehmen; er ist jetzt damit be-
schäftigt, diese Tätigkeit an der Grenzlinie entlang
bis zum Schnittpunkt von 1°207 südl. Breite und
30 östl. Länge fortzusetzen. Weiß konnte fest-
stellen, daß die Nordspitze des Sees viel weiter
nordwestlich liegt, als auf der Hermannschen
Karte angegeben ist. Er konnte ferner den neuen,
1904 entstandenen Krater kartographisch festlegen.
Weiß hat ferner vom Ngoma= Berge ein voll-
ständiges stereoskopisches Rundbild des Vulkan-
geländes aufgenommen und eine hochinteressante
phototheodolithische Aufnahme eines starken Aus-
bruches des Namlagira-Vulkanes fertiggestellt, die
durch eine Nachtaufnahme Dr. Kirschsteins vom
Issowi-Krater vervollständigt worden ist.
Über die Vulkane selber ein abgeschlossenes
Urteil zu bilden, ist zur Zeit noch nicht möglich,
da die Arbeiten Dr. Kirschsteins noch im vollen
Gange sind; doch konnte er während der Dauer
seines Aufenthaltes im hiesigen Gebiet schon
einige sehr bemerkenswerte Punkte konstatieren.
Er berichtet darüber folgendes: „Ich stellte
Untersuchungen über den früheren Wasserstand
des Kiwu-Sees an, die zu dem Ergebnis führten,
daß der Spiegel des Sees einst um 5 bis 5½ m
höher gelegen haben muß als heute. Auch ge-
lang es mir, in den Sinterkalken des Kiwu-Sees,
die das ganze Nordost= und Nordufer mit Aus-
nahme des flachen Sandstrandes von Kissenye
umrahmen, eine reiche, jetzt ausgestorbene Fauna-
zu sammeln, die Aufschluß über das zoologische
Alter des Sees geben dürfte, dessen Entstehung
bekanntlich mit der Entstehung des großen
zentralafrikanischen Grabens in Zusammenhang
gebracht wird, auf dessen Sohle ja auch der
Tanganjika sowie der Albert-Edward und der
Albert-Rjansa liegen. Weitere Untersuchungen
erstreckten sich auf die heißen, schwefelwasserstoff-
haltigen Quellen von Irungatscho, deren höchste
Temperatur auf 72= C. kestgestellt wurde, ferner