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träumen, wenn das materielle Verständnis nicht
da ist? Zu Anfang unserer kolonialen Ausdeh-
nung haben wir in unserem sinnlosen Wunsche,
den Eingeborenen zu assimilieren, verfügt, daß
dieser letztere die Mundarten seines Landes auf-
geben müsse, um die französische Sprache zu
sprechen. Von vornherein sah man es als un-
zulässig an, daß der erobernde Franzose herab-
steigen und die Sprache des eroberten Landes
lernen solle. Dies führte zu dem unheilvollen
Ergebnis, daß Beamte ausgedehnte Gebiete ver-
walteten, ohne die von ihnen Regierten verstehen
oder sich ihnen verständlich machen zu können.
Beiderseits nahm man damals Zuflucht zu der
unseligen Vermittlung der Dolmetscher, welche die
Lage unehrenhaft ausnutzten, indem sie Er-
pressungen begingen und noch begehen, für die
der Eingeborene (Übrigens folgerichtig) den Euro-
päer verantwortlich macht.
Fast überall ist die Tätigkeit der Dolmetscher
nachteilig gewesen, ganz besonders in Indo-
China. Sobald wir uns ihrer entledigen können
— die Unterweisung der Eingeborenen, ebenso
wie die bessere Ausbildung unserer Beamten muß
uns diesem Zeitpunkt rasch näher bringen —,
wird ihre Beseitigung ein ebenso politisches wie
sittliches Werk sein.
Die erste Art der Unterweisung des Ein-
geborenen, die wir anzuwenden versucht haben,
bestand also in der allgemeinen Regel: die Ein-
geborenensprachen durch die französische Sprache
zu ersetzen. Als Folge trug man das Unterrichts-
verfahren, so wie es im Mutterlande angewendet
wird, in alle vier Ecken unseres Kolonialreiches,
ohne es zu verbessern, ohne zu versuchen, es dem
besonderen Fassungsvermögen unserer Untertanen
anzupassen. Man glanbte (abgesehen von den
glücklichen Versuchen der „Alliance française:
und der . Mission laiquer), daß, sobald die be-
nutzten Lehrpläne für die Franzosen Frankreichs
gut seien, sie für die neuen Franzosen der Kolonien
nicht schlecht sein könnten.
Seit einigen Jahren sind wir von diesem
schweren Irrtum abgekommen. Neue Gedanken
drängen vor. Sie lassen sich in folgende vier
Grundsätze zusammenfassen:
1. der Eingeborenen-Unterricht muß sorgfältig
gepflegt werden;
2. er muß vor allem beruflich sein;
3. der französische Unterricht muß elementar
sein;
4. jede Kolonie muß einen Unterrichtsplan im
Einklange mit ihren Bedürfnissen und ihren
Bestrebungen besitzen.
Wir werden sogleich auf diese verschiedenen
Fragen zurückkommen. Für den Augenblick
wollen wir einen ganz neuen Erlaß hervorheben,
durch den Herr Leygues den „höheren Be-
ratungsausschuß für den öffentlichen Unterricht
der Kolonien“ neu eingerichtet und neben ihm
ein „ständiges Sekretariat“ geschaffen hat. Das
ist eine nützliche Maßregel. Unser Unterrichts-
wesen bedurfte wesentlich der praktischen Einrich-
tung, mit der es soeben ausgestattet worden ist.
Neben den hohen Beamten der Ministerien
der Kolonien und des öffentlichen Unterrichts,
den Lehrern der Hochschule, des technischen und
des wissenschaftlich-politischen Unterrichts, finden
wir in dem Ausschuß fünf Gewerbetreibende,
Kauflente und Leiter von Gesellschaften, die in
den Kolonien Ankagen oder Geschäfte haben.
Die Erziehung des Eingeborenen muß in der Tat
zuvörderst praktischer Natur sein. Vom Handel,
dem Gewerbe, der Landwirtschaft muß seine Be-
tätigung die Richtung erhalten. Niemand kann besser
das Gehirn des Eingeborenen bilden, als die
Leute vom Beruf. Der durch den Erlaß vor-
gezeichnete Plan selbst ist folgender: Der Aus-
schuß wird beauftragt, alle Fragen durchzuprüfen,
welche betreffen:
1. Einrichtung des Unterrichtswesens
Kolonien;
2. Schuleinrichtung (Lehrgänge, Pläue und
Bücher);
in den
3.Ersatz des Personals, Schaffung und Über-
wachung von kolonialen Lehrerbildungs-
anstalten;
Einreihung und Beförderung des nach den
Kolonien entsendeten Personals im Rahmen
des heimischen Organismus.
Das „ständige Sekretariat“ (unter der Leitung
des stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses)
ist mit der Prüfung und Behandlung der fol-
genden Angelegenheiten beauftragt:
1. Schriftwechsel des Ministers. Anweisungen
für die Gouverneure über den Unterricht;
2. Vorbereitung der ministeriellen Verfügungen
und Erlasse, Prüfung der örtlichen Ver-
fügungen, betreffend die Einrichtung des
Unterrichts und die Lage des Lehrpersonals;
3. Zusammenfassung der Zahlenübersichten über.
den öffentlichen Unterricht in den Kolonien;
4. Prüfung der Berichte der Inspektoren der
Kolonien, betreffend den Unterricht;
5. Prüfung der Lehrpläne;
6. Prüfung der Anstellungsgesuche für den Schul-
dienst in den Kolonien, Ersatz des Personals;
7. Aufsicht über die den örtlichen Haushalten
gewährten Beihilfen;
8. Aufsicht über den Lehrplan der kolonialen
Lehrerbildungsschulen;
9. Einrichtung von Wettbewerben für die Ver-
öffentlichung von Schulbüchern, die jeder
Gruppe von Kolonien angepaßt find usw.