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Dazu kommt, daß das tatsächliche Monopol,
welches die syndizierten Baumwollproduzenten
Amerikas infolge ihres erdrückenden Übergewichts
auf dem Baumwollmarkt auch bezüglich der Preis-
bildung besitzen, unserer Textilindustrie erhebliche
finanzielle Opfer auferlegt. Noch im Jahre 1899
betrug der Durchschnittspreis von Baumwolle
29 Pf., um dann — mit sehr erheblichen Schwan-
kungen, die jede sichere Kalkulation ausschlossen
und mehrfach zu Betriebseinschränkungen und
Arbeiterentlassungen führten, — auf 59, 68 und
76 ½ Pf. zu steigen. Während nach den No-
tierungen des amerikanischen Census Bureau der
erzielte Durchschnittspreis für das Pfund ameri-
kanischer Baumwolle während der letzten zehn
Jahre (1897 bis 1906) 8⅝ Cents = rund
35 Pf. betrug, haben die amerikanischen Baum-
wollsyndikate seit September 1907 den Preis auf
15 Cents = 60 Pf. erhöht, trotzdem das ameri-
kanische Baumwolljahr 1906/07 seit 1882 —
abgesehen von dem Rekordjahre 1903/04 — die
größte jemals verzeichnete Ernte gebracht hatte,
und ein Durchschnittspreis von 10 Cents = rund
40 Pf. für das Pfund nach sachverständigem Ur-
teil als durchaus befriedigend anzusehen war.
Eine Verteuerung von 20 Pf. auf das Pfund be-
deutet aber für die deutsche Textilindustrie bei
einem Jahresbedarf von 1,6 Millionen Ballen
eine Mehrausgabe von 160 Millionen
Mark oder rund 160 Mark auf den Kopf
der beschäftigten Arbeiter. Daß solche Um-
stände auch auf die Lohn= und Beschäftigungs-
verhältnisse unserer Arbeiter ungünstig ein-
wirken müssen, liegt auf der Hand.
Alle diese für die europäische Baumwollindustrie
ungünstigen Umstände — Spannung zwischen
Baumwollerzeugung und -verbrauch, Ausdehnung
der eigenen Industrie in den Erzeugungsländern,
Abhängigkeit von spekulativer Preisstellung —
haben neuerdings die Kontinentalstaaten mit
eigenem Kolonialbesitz mehr und mehr dazu ver-
anlaßt, durch wirtschaftliche Erschließung des
letzteren sich unabhängige Bezugsquellen zu
eröffnen.
Den ersten Anstoß hierzu in Europa über-
haupt gab das Kolonial-Wirtschaftliche Komitee
in Berlin, das mit seiner im Jahre 1900 nach
ogo entsandten „Baumwollexpedition“ den
Grundstein für alle weiteren diesbezüglichen Be-
strebungen legte und dem Baumwollbau in Afrika
die ersten Wege ebnete. Nach dem Vorbilde des
Kolonial-Wirtschaftlichen Komitees bildeten sich
bald auch in fremden Ländern mit Kolonialbesitz
in Afrika zur Verwirklichung der gleichen Ziele
öhnliche Gesellschaften, wie die British Cotton
Growing Assoeciation in Manchester, die Asso-
eistion Cotonnière Coloniale in Paris und andere
in Italien, Portugal, Belgien und Holland. Von
ihren Regierungen tatkräftig unterstützt, betreiben
die Gesellschaften die Einführung des Baumwoll-
baues als Volkskultur und Plantagenkultur in
den Kolonien in gemeinnütziger Weise; durch
Austausch der gesammelten Erfahrungen, Lieferung
von Saatgut usw. ist eine nutzbringende Ver-
bindung geschaffen. Neben diesen Gesellschaften
besteht ein Internationaler Verband der Baum-
wollspinner= und Weber-Vereinigungen mit dem
Sitz in England, der die Baumwollinteressenten
aller Länder umfaßt und jährlich einen Kongreß
abhält, wo die gemeinsamen Interessen besprochen
werden. Solche Kongresse fanden bis jetzt in
Zürich, Manchester, Bremen und Wien statt; der
diesjährige ist vom 1. bis 4. Juni in Paris ab-
gehalten worden.
Das erste größere Unternehmen in Deutsch-
land zur Einführung der Baumwollkultur in
Afrika war die erwähnte im Jahre 1900 vom
Kolonial-Wirtschaftlichen Komitee nach Togo ent-
sandte „Baumwollexpedition"“., Ihr Zweck war,
die klimatischen und Bodenverhältnisse dieser west-
afrikanischen Kolonie im Hinblick auf den Baum-
wollanbau zu prüfen, geeignete Saaten aus-
zusuchen, größere Pflanzungen anzulegen, die
eingeborene Bevölkerung anzuleiten, eine rationelle
Maschinenverarbeitung der Rohbaumwolle (Ent-
kernung und Pressen) einzuführen usw. Der
Baumwollbau hat in Togo seit dieser Zeit als
Volskultur erfreuliche Fortschritte gemacht: die
Qualität der hier gezogenen Baumwolle über-
ragte im Durchschnitt die Marke amerikanisch
middling, die Ernte betrug im Jahre 1905/06
857 Ballen zu 250 kg, und 190½/07 etwa
1200 Ballen. Neben anderen Maßnahmen und
Einrichtungen hat sich besonders die Ackerbau-
schule in Nuatjä bewährt, die vom Komitee zu
dem Zwecke errichtet wurde, die Baumwollkultur
der Eingeborenen durch systematische Anleitung
und Ausbildung zu heben; die Schule ist vor
kurzem von der Regierung übernommen worden.
Im Jahre 1902 dehnte das Kolonial-Wirt-
schaftliche Komitee seine Baumwollanbauversuche
auch auf Deutsch-Ostafrika aus. Auch hier
haben die im Laufe der Jahre geschaffenen Ein-
richtungen, wie Versuchs= und Lehrplantagen,
Entkörnungsanlagen und Aufkaufsmärkte, Saat-
verteilung u. a., gute Erfolge gezeitigt. Die
Produktion ist stetig gewachsen, die erzielten Qua-
litäten sind recht zufriedenstellend. Im Jahre
1906 sandte das Kolonial-Wirtschaftliche Komitee
den ersten Dampfpflug nach Ostafrika, wodurch
die Ausdehnung der Baumwollplantagenkultur
einen weiteren Ansporn erhielt.
Die Baumwollanbauversuche in Kamerun
und Deutsch-Südwestafrika werden vom