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jeder Mensch zwei „Vermeidungen“ ererbte, die
eine vom Vater, die andere von der Mutter,
derart, daß ein Mann die vom Vater ererbte
„Vermeidung“ seinem Sohn weiter vererbe, die
von der Mutter ererbte nur persönlich respektiere;
daß eine Frau die von der Mutter ererbte „Ver-
meidung“ ihrer Tochter weitervererbe, die vom
Vater ererbte nur persönlich respektiere.
In allen drei Fällen, der Vaterfolge, der
Mutterfolge und der Doppelfolge, halten sich alle,
die dieselbe „Vermeidung“ haben, für nahe bluts-
verwandt und bezeichnen diese Art der Abstammung
mit einem besonderen Wort, das im Saramo
„mulyango“, im Urundi „muryango“, im Hehe
„mulongo“, im Bena „mulumbo“ heißt, während
das weit verbreitete Wort „ukoo, lukolo“ mehr
„Landsmannschaft“ als „Verwandtschaft“ zu be-
deuten scheint.
Nach der oben angegebenen Definition kann
man statt „Vermeidung"“ den Terminus technicus
„Totem“ setzen, und ebenso mit „Clan" die
eben besprochene Art der Verwandtschaft bezeichnen,
welche dasselbe Totem führt.
Ein anderes Thema, über das sich in der
Literatur nur wenig findet !) und dessen Bedeutung
den Europäern in Deutsch-Ostafrika meist gänzlich
fremd ist, bildet die Nomenklatur der Ver-
wandtschaft.
Daß die Eingeborenen andere Begriffe davon
haben als wir, ist aus den Beispielen der Swaheli-
sprache „mama mdogo“, „kleine Mutter“", für die
Tante als Schwester der Mutter und „ndugu“
nicht nur für den leiblichen Bruder, sondern auch
für einen anscheinend Fremden bekannt; ein Neger
würde noch auf dem Mars einen „ndugu“ finden,
hat Kandt im „Caput Nili“ scherzhaft behauptet.
Die Verschiedenheiten der Nomenklatur gehen
aber noch viel weiter.
Im Swaheli „ndugu“, in vielen Sprachen
des Inneren „mwanakwetu“ (wörtlich „Kind zu
uns gehörig"“) heißt nur der Bruder eines Mannes
und die Schwester einer Frau; Bruder einer Frau
und Schwester eines Mannes werden im Swaheli
vumbu“", sonst meist „lumbu“ genannt. Mit an-
deren Worten: „ndugu, mwanakwetu“ heißen
Geschwister gleichen Geschlechts, „umbu, lumbu“
heißen Geschwister anderen Geschlechts. Diese
Auffassung kann man zum Ausgangspunkt der
Betrachtung wählen, um auch die folgenden Be-
nennungen verständlich zu machen.
1) Einzelne Bezeichnungen, richtig übersetzt, finden
sich wohl in allen Grammatiken und Wörterbüchern der
Bantusprachen. Vollständige Nomenklaturen aber habe
ich nur bei Domet: Die Suahelisprache. Jerusalem
1898, und bei Schumann: Die Kondesprache. Mitt.
des orient. Sem. VI 1899, III, p. 65, gelesen und von
Herren der Berliner Mission I für Bena gehört.
Mit einer gewissen Logik wird nun neben dem
obaba“ (Swaheli, wie alle folgenden Nomenkla-
turen) „Vater“ auch sein Geschwister gleichen Ge-
schlechts, also sein Bruder „baba mdoge“ „kleiner
Vater“ genannt, aber für sein Geschwister anderen
Geschlechts, für seine Schwester, ein neues Wort
„Shengazi“ gebraucht. Ebenso ist die Schwester
der Mutter „mama mdogeo“ „kleine Mutter", ihr
Bruder aber „myomba“. Wir aber mühssen so-
wohl den „baba mdogo“ wie den „myomba“ mit
Onkel und die „nama mdogo“ wie die „shengazi“
mit Tante übersetzen.
Es ist nur konsequent, wenn die Kinder der
„kleinen Väter"“ und der „kleinen Mütter“ als
Geschwister aufgefaßt werden und bei gleichem
Geschlecht „andugu“, bei verschiedenem „umbu“
heißen, daß dagegen das neue Wort „mtani“
„Better“ nur für die Kinder des „myomba" und
der „shengazi“ Anwendung finden. In derselben
Konsequenz gelten dann auch die Kinder eines
Geschwisters gleichen Geschlechts als eigene „wa-
toto“, aber die Kinder eines Geschwisters anderen
Geschlechts als „wapwa“ „Neffen“.
Die anderen Bezeichnungen der Swaheli weisen
im allgemeinen dieselben Begriffe auf, wie wir
sie haben: „wakun"“ „die Ahnen", „wajukun"“ „die
Enkel“, „watowe“ „die Schwieger“ (-Eltern und
Kinder), „wamu“ oder aus dem arabischen
„Shemegi“ die „Schwäger"“ (und Schwägerinnen).
Nur „kaka“ „älterer Bruder", „dada“ „ältere
Schwester“, „wifi“, „wivi“ Schwägerin als Frauen
von zwei Brüdern kommen hinzu.
Die anderen Bantuvölker Deutsch-Ostafrikas
haben ähnliche Nomenklaturen, wenn auch mit
manchen Abweichungen. So fehlt bei den Saramo
ein Wort, das dem Swaheli „shengazi“ „Tante“
entspräche, es wird durch „dumbu dja tata"“
„Geschwister anderen Geschlechts des Vaters“ um-
schrieben. Auch gilt ihr Wort „sekulu“ „Ahn“
nur für den Vater der Mutter und für die Mutter
des Vaters, die beiden andern Großeltern werden
mit „tata ja tata“ Vatersvater und „mama ja
mama“ Muttersmutter umschrieben. Im Nyam-
wezi und Sukuma werden Schwiegereltern und
-kinder genau differenziert; im Hehe wird neben
dem neuen Wort für Vetter „muhitsi“, der sonst
gebräuchliche Stamm als „utani“ in der Bedeu-
tung „Doppelverschwägerung“ gebraucht, die da-
durch entsteht, daß ein Bruder und eine Schwester
sich mit einem anderen Paar von Schwester und
Bruder verheiraten, usw.
In allen Sprachen von ostafrikanischen Bantus,1)
die ich darauf habe untersuchen können, scheint
ein System der Verwandtschaftsnomenklatur zu
1) Andere afrikanische Bantuvölker haben andere
Systeme, wie aus Kohlers Zeitschrift für vergleichende
Rechtswissenschaft zu ersehen, z. B. die Baronga.
(Bd. XIV. 1900. S. 456.)