Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

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die ihn um Hilfe angehenden Kranken zu behan— 
deln, in seiner täglichen Praxis dem einzelnen 
Individuum seine Sorgfalt zu widmen; er ist In- 
dividualhygieniker. Dies pflegt vom Laien durch- 
weg für die hauptsächlichste Seite des ärztlichen 
Berufes angesehen zu werden. Indessen ist er da- 
mit keineswegs erschöpft, denn eine zweite, min- 
destens ebenso wichtige Seite gesellt sich hinzu, die 
des Volkshygienikers. Nicht nur dem einzelnen, 
zu ihm kommenden Patienten hat seine Arbeit zu 
gelten, auch die Gesamtheit der Eingeborenen er- 
heischt seine Fürsorge. Gerade hier hat er ein 
Arbeitsfeld von unermeßlicher Weite, und gerade 
auf ihm spielt sich derjenige Teil seines Berufes 
ab, der am allerdirektesten mit der Kolonialwirt- 
schaft in Verbindung steht, der die zahlreichsten 
und engsten Berührungspunkte mit ihr hat. Ich 
will damit durchaus nicht die Bedeutung der ärzt- 
lichen Einzelpraris unter den Eingeborenen 
schmälern, ich halte sie im Gegenteil für außer- 
ordentlich weittragend. Ich glaube sogar, daß die 
einem Schwarzen im Erkrankungsfalle gewährte 
Hilfe noch für lange Zeit hinaus das einzige Ge- 
schenk der Regierung ist, für das er bereits volles 
Verständnis besitzt. Die Verabfolgung einer wirk- 
samen Arznei, eines Verbandes, oder die Gewäh- 
rung einer erfolgreichen Operation werden ihm 
verständlicher und sympathischer sein und werden 
ihn fester an uns ketten als etwa die Pflicht der 
Steuerleistung oder des Wegebaues. So haben 
wir meiner Überzeugung nach in der ärztlichen 
Praris unter den Farbigen ein ausgezeichnetes 
%artelicinm regni“. Aber dieser kolonisatorische 
Faktor liegt, wie in dem eben gebrauchten Worte 
bereits angedeutet ist, mehr auf kolonialpolitischem 
als auf kolonialwirtschaftlichem Gebiete. Für das 
Gedeihen oder die Entartung eines großen Volks- 
stammes ist es von keiner allzu schwerwiegenden 
Bedeutung, ob ich jährlich zehn Amputationen 
unter seinen Angehörigen vornehme und fünfzig 
Unterleibsbrüche operiere oder nicht; wohl aber, 
wenn ich ihn beispielsweise gegen die Pocken 
schütze oder die Schlafkrankheit unter ihm aus- 
lolte oder den Aussatz bekämpfe. 8000 bis 
10000 Schwarze suchen alljährlich in Duala, dem 
arztlich vorzugsweise entwickelten Orte Kameruns, 
wegen allerhand Leiden Hilfe nach; gewiß eine 
stattliche Zahl. 1000 ungefähr werden einer 
längeren Lazarettbehandlung teilhaftig, und 
mancher von ihnen wird durch ärztliche Behand- 
lung am Leben erhalten oder der Arbeitsfähigkeit 
zurückgegeben. Aber was will das in kolonial= 
wirtschaftlicher Beziehung sagen gegenüber 
der Tatsache, daß jährlich noch ganze Dörfer an 
den Pocken aussterben, daß Tausende von Leprösen 
im Siechtum dahinleben und ihr Leiden ungehin- 
dert weiter verbreiten? Als Individnal- 
  
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hygieniker treibe ich im letzten Grunde Ko- 
lonialpolitik, als Volkshygieniker 
Kolonialwirtschaft. Die Tätigkeit des 
letzteren, die uns hier vorzugsweise beschäftigt, 
halte ich für den schwierigsten und doch wichtigsten, 
für den äußerlich oft undankbarsten und doch 
segensreichsten und in seinen Wirkungen weit- 
tragendsten Zweig des kolonialärztlichen Berufes, 
an dessen Pflege uns ganz besonders gelegen sein 
muß. Vielleicht ist es für den Fernstehenden nicht 
ohne weiteres ersichtlich, warum er äußerlich un- 
dankbar sein soll. Doch bedenke man, daß der Arzt 
als wissenschaftlicher Forscher und in Ausübung 
seiner täglichen Praxis rein auf sich gestellt und 
völlig unabhängig ist. Kein Mensch wird ihm 
drein reden; kaum jemals wird er dabei mit 
anderen kolonialen Bestrebungen kollidieren, und 
niemandem ist er Verantwortung oder Rechen- 
schaft schuldig als seinem eigenen ärztlichen Ge- 
wissen. Ganz anders in der Volkshygiene. Hier 
muß er ein Gebiet betreten, auf dem er nicht allein, 
unbekümmert darum, was rechts und links von 
ihm liegt, dahingehen kann. Hier ist er begrenzt, 
hier wird seine Einordnung nötig, die unvermeid- 
liche Rücksichtnahme auf eine große Zahl anderer 
Bestrebungen, namentlich der Verwaltung; hier 
tritt für ihn außer der Einordnung auch die 
Unterordnung des beamteten Arztes hinzu. Doch 
Näheres davon später. 
Undankbarer als die sonstige ärztliche Tätig- 
keit ist die des Volkshygienikers auch aus anderem 
Grunde. Sie verleiht nicht den Glanz wissen- 
schaftlichen Forscherruhmes, und sie bringt nicht 
die Ernte des Dankes und der Anerkennung ge- 
nesener Patienten. Im Gegenteil, so gern man 
in den Kolonien die Gegenwart eines Arztes im 
Falle einer ernsten Erkrankung hat, so kann er 
keineswegs von vornherein auf freudige, allge- 
meine Zustimmung rechnen, wenn er gegen hygie- 
nischen Schlendrian einschreitet, vor der Zukunft 
warnt, seine Pflichten als Volkshygieniker erfüllt. 
Um ihrer selbst willen muß er also seine Arbeit 
leisten und dadurch sich manches ersetzen lassen. 
Ein gelungener chirurgischer Eingriff, eine wissen- 
schaftliche, tropenmedizinische Entdeckung, ge- 
währen mehr äußeren Erfolg als etwa die müh- 
same, stille Durchimpfung eines Bezirkes, bei 
welcher der Arzt im Regen oder Gluthitze unter 
mancherlei Entbehrungen und Mühseligkeiten 
seine Straße von Dorf zu Dorf zieht. Und doch ist 
letztere die kolonialwirtschaftlich weit überlegene 
Tat. Freilich den vollen Erfolg seiner Arbeiten 
wird er selbst vielfach gar nicht erleben. Serit 
arbores. 
Daheim bewegt sich die volksgesundheitliche 
Fürsorge in wohl geregelten Bahnen. Gerade in 
den letzten Jahrzehnten hat man in Deutschland 
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