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die ihn um Hilfe angehenden Kranken zu behan—
deln, in seiner täglichen Praxis dem einzelnen
Individuum seine Sorgfalt zu widmen; er ist In-
dividualhygieniker. Dies pflegt vom Laien durch-
weg für die hauptsächlichste Seite des ärztlichen
Berufes angesehen zu werden. Indessen ist er da-
mit keineswegs erschöpft, denn eine zweite, min-
destens ebenso wichtige Seite gesellt sich hinzu, die
des Volkshygienikers. Nicht nur dem einzelnen,
zu ihm kommenden Patienten hat seine Arbeit zu
gelten, auch die Gesamtheit der Eingeborenen er-
heischt seine Fürsorge. Gerade hier hat er ein
Arbeitsfeld von unermeßlicher Weite, und gerade
auf ihm spielt sich derjenige Teil seines Berufes
ab, der am allerdirektesten mit der Kolonialwirt-
schaft in Verbindung steht, der die zahlreichsten
und engsten Berührungspunkte mit ihr hat. Ich
will damit durchaus nicht die Bedeutung der ärzt-
lichen Einzelpraris unter den Eingeborenen
schmälern, ich halte sie im Gegenteil für außer-
ordentlich weittragend. Ich glaube sogar, daß die
einem Schwarzen im Erkrankungsfalle gewährte
Hilfe noch für lange Zeit hinaus das einzige Ge-
schenk der Regierung ist, für das er bereits volles
Verständnis besitzt. Die Verabfolgung einer wirk-
samen Arznei, eines Verbandes, oder die Gewäh-
rung einer erfolgreichen Operation werden ihm
verständlicher und sympathischer sein und werden
ihn fester an uns ketten als etwa die Pflicht der
Steuerleistung oder des Wegebaues. So haben
wir meiner Überzeugung nach in der ärztlichen
Praris unter den Farbigen ein ausgezeichnetes
%artelicinm regni“. Aber dieser kolonisatorische
Faktor liegt, wie in dem eben gebrauchten Worte
bereits angedeutet ist, mehr auf kolonialpolitischem
als auf kolonialwirtschaftlichem Gebiete. Für das
Gedeihen oder die Entartung eines großen Volks-
stammes ist es von keiner allzu schwerwiegenden
Bedeutung, ob ich jährlich zehn Amputationen
unter seinen Angehörigen vornehme und fünfzig
Unterleibsbrüche operiere oder nicht; wohl aber,
wenn ich ihn beispielsweise gegen die Pocken
schütze oder die Schlafkrankheit unter ihm aus-
lolte oder den Aussatz bekämpfe. 8000 bis
10000 Schwarze suchen alljährlich in Duala, dem
arztlich vorzugsweise entwickelten Orte Kameruns,
wegen allerhand Leiden Hilfe nach; gewiß eine
stattliche Zahl. 1000 ungefähr werden einer
längeren Lazarettbehandlung teilhaftig, und
mancher von ihnen wird durch ärztliche Behand-
lung am Leben erhalten oder der Arbeitsfähigkeit
zurückgegeben. Aber was will das in kolonial=
wirtschaftlicher Beziehung sagen gegenüber
der Tatsache, daß jährlich noch ganze Dörfer an
den Pocken aussterben, daß Tausende von Leprösen
im Siechtum dahinleben und ihr Leiden ungehin-
dert weiter verbreiten? Als Individnal-
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hygieniker treibe ich im letzten Grunde Ko-
lonialpolitik, als Volkshygieniker
Kolonialwirtschaft. Die Tätigkeit des
letzteren, die uns hier vorzugsweise beschäftigt,
halte ich für den schwierigsten und doch wichtigsten,
für den äußerlich oft undankbarsten und doch
segensreichsten und in seinen Wirkungen weit-
tragendsten Zweig des kolonialärztlichen Berufes,
an dessen Pflege uns ganz besonders gelegen sein
muß. Vielleicht ist es für den Fernstehenden nicht
ohne weiteres ersichtlich, warum er äußerlich un-
dankbar sein soll. Doch bedenke man, daß der Arzt
als wissenschaftlicher Forscher und in Ausübung
seiner täglichen Praxis rein auf sich gestellt und
völlig unabhängig ist. Kein Mensch wird ihm
drein reden; kaum jemals wird er dabei mit
anderen kolonialen Bestrebungen kollidieren, und
niemandem ist er Verantwortung oder Rechen-
schaft schuldig als seinem eigenen ärztlichen Ge-
wissen. Ganz anders in der Volkshygiene. Hier
muß er ein Gebiet betreten, auf dem er nicht allein,
unbekümmert darum, was rechts und links von
ihm liegt, dahingehen kann. Hier ist er begrenzt,
hier wird seine Einordnung nötig, die unvermeid-
liche Rücksichtnahme auf eine große Zahl anderer
Bestrebungen, namentlich der Verwaltung; hier
tritt für ihn außer der Einordnung auch die
Unterordnung des beamteten Arztes hinzu. Doch
Näheres davon später.
Undankbarer als die sonstige ärztliche Tätig-
keit ist die des Volkshygienikers auch aus anderem
Grunde. Sie verleiht nicht den Glanz wissen-
schaftlichen Forscherruhmes, und sie bringt nicht
die Ernte des Dankes und der Anerkennung ge-
nesener Patienten. Im Gegenteil, so gern man
in den Kolonien die Gegenwart eines Arztes im
Falle einer ernsten Erkrankung hat, so kann er
keineswegs von vornherein auf freudige, allge-
meine Zustimmung rechnen, wenn er gegen hygie-
nischen Schlendrian einschreitet, vor der Zukunft
warnt, seine Pflichten als Volkshygieniker erfüllt.
Um ihrer selbst willen muß er also seine Arbeit
leisten und dadurch sich manches ersetzen lassen.
Ein gelungener chirurgischer Eingriff, eine wissen-
schaftliche, tropenmedizinische Entdeckung, ge-
währen mehr äußeren Erfolg als etwa die müh-
same, stille Durchimpfung eines Bezirkes, bei
welcher der Arzt im Regen oder Gluthitze unter
mancherlei Entbehrungen und Mühseligkeiten
seine Straße von Dorf zu Dorf zieht. Und doch ist
letztere die kolonialwirtschaftlich weit überlegene
Tat. Freilich den vollen Erfolg seiner Arbeiten
wird er selbst vielfach gar nicht erleben. Serit
arbores.
Daheim bewegt sich die volksgesundheitliche
Fürsorge in wohl geregelten Bahnen. Gerade in
den letzten Jahrzehnten hat man in Deutschland
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