Full text: Reichs-Gesetzblatt. 1876. (10)

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§. 55. 
Wer bei Begehung der Handlung das zwölfte Lebensjahr nicht vollendet 
hat, kann wegen derselben nicht strafrechtlich verfolgt werden. 
Gegen denselben können jedoch nach Maßgabe der landesgesetzlichen Vor- 
schriften die zur Besserung und Beaufsichtigung geeigneten Maßregeln getroffen 
werden. Insbesondere kann die Unterbringung in eine Erziehungs- oder Besse- 
rungsanstalt erfolgen, nachdem durch Beschluß der Vormundschaftsbehörde die 
Begehung der Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt ist. 
§. 56. 
Ein Angeschuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das zwölfte, aber nicht 
das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, eine strafbare Handlung begangen hat, 
ist freizusprechen, wenn er bei Begehung derselben die zur Erkenntniß ihrer Straf- 
barkeit erforderliche Einsicht nicht besaß. 
In dem Urtheile ist zu bestimmen, ob der Angeschuldigte seiner Familie 
überwiesen oder in eine Erziehungs- oder Besserungsanstalt gebracht werden soll. 
In der Anstalt ist er so lange zu behalten, als die der Anstalt vorgesetzte Ver- 
waltungebegörde solches für erforderlich erachtet, jedoch nicht über das vollendete 
zwanzigste Lebensjahr. 
§. 57. 
Wenn ein Angeschuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das zwölfte, aber 
nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, eine strafbare Handlung begangen 
hat, bei Begehung derselben die zur Erkenntniß ihrer Strafbarkeit erforderliche 
Einsicht besaß , so kommen gegen ihn folgende Bestimmungen zur Anwendung: 
1) ist die Handlung mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus 
bedroht, so ist auf Gefängniß von drei bis zu fünfzehn Jahren zu 
erkennen; 
2) ist die Handlung mit lebenslänglicher Festungshaft bedroht, so ist auf 
Festungshaft von drei bis zu fünfzehn Jahren zu erkennen; 
3) ist die Handlung mit Zuchthaus oder mit einer anderen Strafart bedroht, 
so ist die Strafe zwischen dem gesetzlichen Mindestbetrage der angedroh- 
ten Strafart und der Hälfte des Höchstbetrages der angedrohten Strafe 
zu bestimmen. 
Ist die so bestimmte Strafe Zuchthaus, so tritt Gefängnißstrafe 
von gleicher Dauer an ihre Stelle; 
4) ist die Handlung ein Vergehen oder eine Uebertretung, so kann in 
besonders leichten Fällen auf Verweis erkannt werden; 
5) auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt oder einzelner bür- 
gerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizei-Aussicht ist 
nicht zu erkennen. 
Die Freiheitsstrafe ist in besonderen, zur Verbüßung von Strafen jugend- 
licher Personen bestimmten Anstalten oder Räumen zu vollziehen.
	        
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