Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

236 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
Zeit passende Einrichtung“; seine Minister jubelten, jetzt endlich sei der 
Schlange des ständischen Trotzes der Kopf zertreten. Auch die Krone 
Dänemark benutzte die Auflösung des Reichs um Holstein ihrem Gesammt— 
staate einzuverleiben; König Gustav nahm seinen Pommern ihr altes 
Landesrecht und führte die schwedische Verfassung ein. 
Die Anarchie eines neuen Interregnums brach über Deutschland her— 
ein; das Faustrecht herrschte, nicht mehr von adlichen Wegelagerern, sondern 
von fürstlichen Höfen gehandhabt. Mißtrauisch verfolgte Napoleon jede 
Regung des nationalen Gefühls in dem unterjochten Lande; Frankreichs 
Interesse verlangt, so schrieb er seinem Talleyrand, daß die Meinung in 
Deutschland getheilt bleibe. Als nun ein Ansbacher Yelin eine anonyme 
Flugschrift „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“ herausgab — ein 
treugemeintes, gefühlsseliges Schriftchen, das in eiserner Zeit nur den 
friedlichen Rath fand: „weine laut auf, edler, biederer Deutscher!“ — da 
schien dem Imperator selbst dieser Stoßseufzer des harmlosen Spießbürger— 
thums bedenklich, und er ließ den Buchhändler Palm, der das Buch 
verbreitet haben sollte, standrechtlich erschießen. Es war der erste Justiz- 
mord des Bonapartismus auf deutschem Boden; die klugen Leute in 
Baiern fingen an zu zweifeln, ob der Rheinbund wirklich den Sieg der 
Freiheit und der Aufklärung gebracht habe. 
Wie anders als jener weinerliche Ansbacher wußte Friedrich Gentz 
zu seinem Volke zu reden! Die schönste seiner Schriften, die Fragmente 
aus der neuesten Geschichte des politischen Gleichgewichts verriethen freilich 
schon, daß der geistvolle Mann jetzt im Solde Oesterreichs schrieb; für das 
ehrwürdige Erzhaus hatte er nur Worte des Lobes und die offenkundigen 
Pläne der Hofburg gegen Baiern leugnete er kurzweg ab. Doch was 
wollten solche Bemäntelungen bedeuten neben der großartigen Offenheit, 
die hier mit flammenden Worten die letzten Gründe der deutschen Schande 
beleuchtete? Das alte Gleichgewicht der Mächte ist durch eine neue Welt- 
herrschaft zerstört; nicht Napoleon's Genie, sondern Deutschlands selbst- 
verschuldete Wehrlosigkeit hat das Verhängniß heraufgeführt, und die große 
Frage der Zukunft lautet: soll Deutschland in seinem ganzen Umfange 
werden, was heute schon die Hälfte davon ist, was Holland und die 
Schweiz und Spanien und Italien wurde? Europa ist durch Deutsch- 
land gefallen; durch Deutschland muß es wieder emporsteigen. Einen 
Retter und Rächer ruft er auf, der uns einsetze in unser ewiges Recht, 
der Deutschland und Europa wieder aufbaue; und mit der Wucht seines 
Hohnes erdrückt er die Thoren, die von Frankreich das Heil der Welt 
erwarten: „eben der rächende Dämon, der sie zur Strafe ihrer hoch- 
müthigen Plattheit durch den ganzen ermüdenden Kreis politischer Rasereien 
gepeitscht hat, schuf sie endlich aus Enthusiasten der Freiheit, einer scheu- 
seligen fieberhaften Freiheit, zu Lobrednern der vollkommensten Sklaverei, 
die jemals die Völker gebeugt hatte, um.“
	        
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