Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Der Königsberger Landtag. 419 
gegen den Willen des Königs — das hatte er nie gewollt! Wie ein 
Missethäter ging er umher, von finsteren Ahnungen gepeinigt: er sah sein 
ehrenreiches Leben in unverdienter Schande ausgehen und wollte zum 
mindesten nicht die Schuld eines neuen Ungehorsams auf sich laden. 
Darum begnügte er sich, sein Corps durch die Cantonpflichtigen der Pro— 
vinz zu verstärken; an ein Massenaufgebot dachte er für jetzt nicht mehr. 
Ein rührender Anblick — die Rathlosigkeit dieser Monarchisten ohne 
Monarchen! Das treue Volk lief Gefahr trotz aller Opfer- und Thaten— 
lust eine köstliche Zeit zu verlieren, wenn sich der überlegene Wille nicht 
fand, der durch einen rettenden Entschluß vollbrachte und gestaltete, was 
die Tausende ersehnten und hofften. 
Und dieser mächtige Wille kam mit dem Freiherrn vom Stein. Der 
große Patriot hatte schon am 16. December aus Petersburg dem Präsi— 
denten Schön angekündigt, er hoffe bald mit seinem Arndt in Altpreußen 
einzutreffen: „jetzt ist es Zeit, daß sich Deutschland erhebe, daß es Frei— 
heit und Ehre wieder erringe, daß es beweise, wie nicht das Volk, son— 
dern seine Fürsten sich freiwillig unter das Joch gebeugt haben.“ Nichts 
war dem stolzen Deutschen entsetzlicher, als die Vorstellung, daß sein 
Vaterland durch die Russen befreit werden sollte. Obwohl er an den 
guten Absichten Alexander's selbst nicht zweifelte, so hegte er doch ein 
starkes Mißtrauen gegen die Pläne der altrussischen Partei; noch späterhin 
hat er den Staatskanzler dringend gewarnt, ja keine preußische Festung 
den Russen zu eröffnen. Als er nun bemerkte, wie das altpreußische 
Volk sich in heißer Ungeduld verzehrte, da ließ er sich von dem Czaren 
die Vollmacht ertheilen, die Leitung der Provinzialbehörden zu übernehmen 
und die Hilfsquellen des Landes zum Besten der guten Sache nutzbar zu 
machen — das Alles nur vorläufig, bis zum förmlichen Abschluß des 
preußisch-russischen Bündnisses. Ausdrücklich wurde dem Könige mit— 
getheilt, nicht ein Russe, sondern einer der getreuesten preußischen Unter— 
thanen erhalte diese durch den Drang der Unstände gerechtfertigte 
Vollmacht. Am 21. Jannar erschien Stein in Königsberg, und augen- 
blicklich veränderte sich die Lage. Alle tapferen Herzen genasen bei dem 
Anblicke des gewaltigen Mannes. Er selber fühlte sich wie in einem unbe- 
kannten Lande, da er überall nur Treue, Hingebung, Tapferkeit, nirgends 
mehr eine Spur der alten Schlaffheit fand, und sein ehrliches Gemüth 
bat dem norddeutschen Volke die ungerechten Vorwürfe vergangener Tage 
ab. Er versicherte bestimmt, der Zweck der russischen Heere sei nicht Er- 
oberung, sondern Wiederherstellung der Selbständigkeit Deutschlands und 
Preußens, doch forderte er seine Landsleute auf, in „Hinsicht der Größe 
des Zweckes und der Reinheit der Gesinnungen“ über Formbedenken hin- 
wegzusehen. Das Land wurde sofort als thatsächlich mit Rußland ver- 
bündet behandelt, die Oeffnung der Häfen und die Aufhebung der Con- 
tinentalsperre angeordnet, eine Anleihe bei der Kaufmannschaft der Hafen- 
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