Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Adel und Bürgertum. 107 
„gnädiger Herr“ unter die Komödianten ging und auf dem Stadttheater 
auftrat. Heiraten zwischen Edelleuten und wohlhabenden bürgerlichen 
Mädchen kamen häufig vor; doch nur selten, und niemals ohne lebhaften 
Widerspruch der Standesgenossen, entschloß sich ein adliges Mädchen sich 
an einen bürgerlichen Mann wegzuwerfen. 
Diese Uberreste einer überwundenen Gesellschaftsordnung mußten 
das Bürgertum erbittern; aber nur der Undank konnte vergessen, wie 
glänzend das Talent, die Treue, die Tapferkeit des preußischen Adels 
während der letzten schweren Jahre sich wieder bewährt hatten. Die große 
Mehrzahl der Feldherren und Staatsmänner, denen Deutschland seine 
Befreiung verdankte, gehörte ja dem Adel an. Während die französischen 
Edelleute, erbost über den Verlust ihrer Standesvorrechte, mit dem Landes- 
feinde vereint gegen ihr Vaterland in den Krieg gezogen waren, hatte der 
preußische Adel zwar den Gesetzen Hardenbergs lebhaft widersprochen, 
aber sobald der Ruf des Königs erklang, sofort seinen Groll hochherzig 
vergessen und sein Alles geopfert für die Rettung des Landes; ohne die 
Hingebung des Landadels wäre die Besetzung der Landwehr-Offiziersstellen, 
die Verwendung der Landwehr im freien Felde schlechthin unmöglich ge- 
wesen. Und gleichwohl wurden diese patriotischen Soldatengeschlechter von 
der liberalen Presse mit den Emigranten verglichen; Berangers hämische 
Verse je suis vilain et três-vilain fanden ein Echo diesseits des Rheins 
als gälten sie auch für Deutschland. Der preußische Staat von 1806 
erschien in den Reden und Schriften der Liberalen stets als das Urbild 
aller politischen Sünden, und bald erzählte man allerorten: durch die Junker 
sei Preußen ins Verderben gestürzt, durch „das Volk“ sieben Jahre später 
gerettet worden. Nach dem Kriege versuchte der Adel überall einen Teil 
seiner alten Macht zurückzugewinnen. Die Mediatisierten bestürmten den 
Bundestag und die Höfe mit ihren Beschwerden; in Preußen scharte sich 
die altständische Partei geschlossen zusammen. Allerhand Vorschläge für 
die Neugestaltung des Standes tauchten auf. Während des Wiener Kon- 
gresses wurde der Plan einer „Adelskette“ viel besprochen, einer großen 
Genossenschaft, welche überall in Deutschland die Standesinteressen wahren 
und den Sinn ritterlicher Ehre wach halten sollte; jedoch der Entwurf 
blieb liegen, wie späterhin ein ähnlicher Plan ostpreußischer Edelleute. 
Auch viele der romantischen Schriftsteller ergingen sich in überschwänglichen 
Lobpreisungen des Adels. Friedrich Schlegel feierte ihn als die Grund- 
kraft der bürgerlichen Gesellschaft: an ihm hätten sich alle anderen Stände 
erst gebildet. Ein trutziges Verslein Schlegels mahnte den Edelmann, bei 
dem Schwerte und dem Pfluge zu bleiben und das Geschwätz der Städte 
zu fliehen: „das ist Adels alte Sitt' und Recht!“ 
Solche Bestrebungen und dazu das törichte Treiben der heimgekehrten 
Emigranten Frankreichs steigerten den Groll der Mittelklassen. Man siel 
wieder zurück in jene Anschauungen des platten Standesneides, welche zur
	        
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