140 II. 4. Die Eröffnung des Deutschen Bundestages.
Nur der Berliner Hof trat den Ansprüchen des Auslandes entschieden
entgegen und stellte jetzt schon eine, leider keineswegs unanfechtbare, Rechts-
ansicht auf, welcher Preußen seitdem immer treu geblieben ist: die Be-
hauptung nämlich, daß die europäischen Mächte, als sie die ersten Artikel
der Bundesakte in die Wiener Schlußakte aufnahmen, zwar den Bestand
des Deutschen Bundes anerkannt, doch mit nichten eine Bürgschaft für
seine Verfassung übernommen hätten. Schon im Februar erinnerte eine
preußische Denkschrift an die trostlosen letzten Regensburger Erfahrungen:
der Deutsche Bund sei nun einmal nur ein Staatenbund ohne wirkliche
Zentralgewalt; „das Leben dieses Bundes als solchen muß gegen das Aus-
land in dem Begriff von Ruhe liegen.“ Dem Wiener Hofe stellte Harden-
berg dringend vor: stehende auswärtige Gesandtschaften könnten bei einer
solchen Bundesversammlung nur gefährliche Einmischungsversuche hervor-
rufen.) Aber Zar Alexander stand auf Frankreichs Seite und ließ, um
die Besorgnisse des preußischen Hofes zu beschwichtigen, die ostensible Wei-
sung, welche dem Gesandten Anstett nach Frankfurt geschickt wurde, in
Berlin vorlegen. Sie lautete kindlich unschuldig: „Als Minister des Kaisers
haben Sie keine Meinung über die inneren Angelegenheiten des Deut-
schen Bundes. Es ist nützlich, es ist notwendig, daß Sie auch persönlich
keine Meinung darüber haben. Der Kaiser wünscht es.“““) Damit war
die vollkommene Harmlosigkeit der auswärtigen Gesandtschaften für die
Patrioten des Bundestags erwiesen. Es ließ sich schon jetzt vorhersehen,
daß Preußens Widerspruch erfolglos bleiben und der Bundestag auch in
der auswärtigen Politik der würdige Erbe des Regensburger Reichstages
werden sollte: selber unvertreten im Auslande und dem geheimen Ränke-
spiele der fremden Mächte wehrlos ausgesetzt.
Neben jenen Vertretern des ungeschminkten Partikularismus hatte sich
auch eine lange Reihe wohlmeinender, patriotischer Staatsmänner aus den
kleinen Staaten eingefunden: so die Hanseaten Smidt und Hach, der
Mecklenburger Plessen, der schon von Wien her als ein sachkundiger und
redlicher Geschäftsmann bekannt war, der Holsteiner Eyben und, nicht zu-
letzt, der unvermeidliche Gagern. Wie glücklich fühlte sich der Rastlose
in diesen ersten Monaten, da noch keine Geschäfte vorlagen und jeder
noch nach Belieben dem ungebornen Bundestage den Weg zur Hölle mit
guten Vorsätzen pflastern konnte! Mit gewohnter Selbstgefälligkeit legte er,
ungeschreckt durch die kühlen Erwiderungen, den Wiener und den Ber-
liner Staatsmännern die endlose Liste seiner Wünsche vor. „Pest, Skla-
verei, Judentum, Fanatismus, Handelssperre, Kolonisation, Literatur,
Künste und Handwerke, Lob unserer großen Männer“ — alle diese und
*) Hardenberg, Denkschrift über die fremden Gesandtschaften, Februar 1816. Wei-
sung an Krusemark, 11. Mai 1816.
**) Ministerialschreiben an Anstett, Petersburg 9. August 1816.