Die Revolution in Schwaben. 303
Deutschland waren die schwachen Köpfe seltener, nirgends die Querköpfe
häufiger. Kein schwäbisches Städtchen, wo nicht irgend ein verkanntes
Genie abends im Herrenstüble des Löwen oder des Ochsen seine wunder—
baren Hirngespinste über Welt und Zeit den eifrig disputierenden Ge-
nossen vortrug. Selbst das unermeßlich starke Selbstgefühl des schwä-
bischen Stammes trug ein absonderliches Gepräge. Der Partikularismus
äußerte sich nicht, wie bei den Bayern, den Sachsen, den Hannoveranern,
in politischem Stolz und Ehrgeiz — denn wer hätte hier von politischer
Macht träumen sollen? — sondern in sozialen Untugenden: mit gemüt-
licher Selbstgefälligkeit wurden unermüdlich alle Herrlichkeiten der Heimat,
von Friedrich Rothbart und Kepler an bis herab zu den trefflichen
Knöpfle und Kratzete der schwäbischen Küche, preisend aufgezählt, mit
dünkelhaftem Mißtrauen alles Ausheimische abgewiesen. Im Bewußt-
sein seines reichen inneren Lebens betrachtete der blöde, unbeholfene
Schwabe die anderen Deutschen, die ihn durch redefertige Gewandtheit
so leicht in Schatten stellen konnten, halb mit Argwohn, halb mit Ver-
achtung, und niemals zeigte sich Altwürttemberg ungebärdiger, als wenn
der Herzog „wieder so einen Ausländer"“, der den Landeskindern das
Brot wegnahm, an seinen Hof berufen hatte. ,
Sobald die Revolutionskriege über dies verrottete Gemeinwesen her—
einbrachen, geriet sofort alles in Gärung. In einem Lande, das so
lange mit seinen Fürsten gehadert hatte, mußten die neuen Freiheits—
lehren einen wohlvorbereiteten Boden finden. Zum ersten Male nach
Jahrzehnten ward der Landtag selber wieder versammelt. Mehr denn
anderthalb hundert Flugschriften erschienen und forderten Beseitigung
der alten Mißbräuche, Erweiterung des Wahlrechts, regelmäßige Land—
tage; freilich wußte keiner dieser Publizisten, auch Spittler nicht, das
Rätsel zu lösen, wie aus dem Dualismus des altständischen Vertrags—
rechts ohne einen Gewaltstreich die moderne Staatseinheit hervorgehen
solle. Inmitten dieser Wirren bestieg Herzog Friedrich II. den Thron,
der böseste und begabteste Sohn des Hauses Württemberg, der Neugründer
des kleinen Staates, ein durchaus unschwäbischer Charakter, dem Volke
gleich widerwärtig durch seine Vorzüge wie durch seine Sünden, hart, ge—
walttätig, gewissenlos, aber auch staatsklug, rasch entschlossen und frei
von Kleinlichkeit. Wie abgeschmackt erschien die schwäbische Kleinmeisterei
dem Erbprinzen, als er nach weiten Reisen, nach einem bewegten Dienst—
leben in Preußen und Rußland endlich wie ein Fremdling in die Hei—
mat zurückkehrte, reich an Erfahrung, vertraut mit allem Glanze und
allen Lastern der großen Welt. Die Vollgewalt der absoluten Herrscher-
macht, wie er sie einst an Friedrich II. und Katharina bewundert hatte,
blieb sein Ideal, und seit er gar eine englische Prinzessin heimgeführt,
wuchs seine Selbstüberhebung über alles Maß. Mit brennendem Ehrgeiz
zählte er die Stunden, bis seine greisen Oheime und endlich auch sein