Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Die Koblenzer Adresse. 455 
hervortreten sollte: der Kronprinz sprach dem Freiherrn von Hövel sein 
besonderes Wohlgefallen über die Denkschrift aus. 
Noch unwillkommener als diese Adelsgesandtschaft, die immerhin die 
Klassenanschauungen eines mächtigen Standes vertrat, erschien dem Staats- 
kanzler der Besuch einer zweiten Deputation, welche lediglich durch eine 
phantastische Schrulle zusammengeschart war und für die Unreife der 
politischen Bildung des Rheinlandes ein klägliches Zeugnis ablegte. Seit 
der Unterdrückung des Rheinischen Merkurs hatte Görres bittere Tage 
verlebt; die Pension, die ihm Hardenberg verschaffte, konnte ihn über den 
Müßiggang eines zwecklosen Daseins nicht trösten. Er bemühte sich redlich 
sein heißes Blut zu bändigen, sprach stets milde und versöhnlich wenn 
Abgesandte der Burschenschaft sich bei ihm Rates erholen wollten. Zu- 
letzt war die Natur doch stärker als die guten Vorsätze. Dies Preußen, 
das er einst so hoch gepriesen, ward ihm allmählich tödlich verhaßt, und 
alle jene törichten Wünsche des rheinischen Partikularismus, welche die 
kirchliche Parität und die Staatseinheit zugleich bedrohten, erschienen ihm 
jetzt berechtigt. Ganz so urteilslos wie die Masse seiner Landsleute 
polterte er wider die fremden protestantischen Beamten und verlangte, daß 
die Rheinlande ihren Anteil an den Staatsausgaben nach dem Gut- 
dünken ihrer Provinziallandtage selber aufbringen sollten. Er fand es 
entsetzlich, daß der König einen Lehrer, der in einer gemischten Schule die 
Reformation roh beschimpft hatte, verdientermaßen absetzen ließ, und be- 
teiligte sich sogar an einer Petition, welche von der Krone forderte, daß 
in Zukunft das Referat über das Schulwesen in der Koblenzer Regierung 
nur einem Katholiken übertragen würde. In wiederholten Eingaben an 
den König und den Staatskanzler gebärdete er sich als der natürliche 
Wortführer des Rheinlands, obschon er wissen mußte, daß sein Merkur 
am Rheine niemals viele Leser gefunden hatte. Ehe er es noch selber 
recht bemerkte, ward er durch seinen rheinischen Provinzialstolz zu kleri- 
kalen Anschauungen verleitet, die allerdings dem innersten Wesen seiner 
phantastischen Natur entsprachen. Nicht lange, so begann er sogar das 
verrottete Ständewesen der geistlichen Kurfürstentümer zu bewundern, 
das er in seiner Jugend mit so wohlverdientem Hohne überschüttet hatte, 
und meinte in den drei Kurien des kurtrierischen Landtags die angeblichen 
drei Urstände der Germanen, Lehr-, Wehr= und Nährstand zu erkennen. 
Als die Koblenzer nunmehr den Staatskanzler an das Verfassungs- 
versprechen zu erinnern beschlossen, gab Görres der Adresse die wunder- 
liche Fassung: man bitte um „Wiederherstellung der Freiheiten der Land- 
schaft und der uralten wahrhaft deutschen Verfassung“. In solcher Ge- 
stalt wurde das übrigens bescheidene und unverfängliche Aktenstück von 
mehr als dreitausend Bürgern und Bauern der Umgebung unterzeichnet; 
die meisten dachten sich dabei nur das eine, daß ein Landtag von Ein- 
geborenen künftighin den Preußen freundlich auf die Finger klopfen solle.
	        
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